Hochglanzkino und Realismus

Während Stephen Daldry in seiner Jonathan-Safran-Foer Verfilmung "Extremely Loud and Incredibly Close" in Hochglanzbildern gleich eine ganze Hand voll Traumata zu einem versöhnlichen Ende führt, setzt der Uruguayer Rodrigo Plá in seinem kleinen, aber sehr genauen "La demora – Die Verspätung" auf Realismus.

Große US-Filme laufen bei der Berlinale zwar im offiziellen Programm aber "Außer Konkurrenz". Ganz in diese Schiene passt Stephen Daldrys "Extremely Loud and Incredibly Close". Erzählt wird darin von dem am Asperger-Syndrom leidenden neunjährigen Oskar (Thomas Horn), der seinen Vater (Tom Hanks) beim Anschlag auf das World Trade Center am 11.9. 2001 verliert. In dessen Nachlass findet der Junge aber einen Schlüssel, dessen Besitzer er ausfindig machen möchte. Dazu muss er aber alle Menschen mit Familienname "Black" in New York abklappern. Unterstützung erhält er dabei bald von einem alten Mann (Max von Sydow) der seit dem Bombenangriff auf Dresden im Februar 1944 nicht mehr spricht.

Allzu viel packt Daldry in der Nachfolge Safran Foers in den Film, erzählt im Kern aber wie schon in seinem Debüt "Billy Elliot" vom Coming of Age eines Jungen, der gerade durch die Suche lernen muss seine vielfältigen Ängste zu überwinden, die Daldry zuvor in einer knappen Montagesequenz eindringlich beschrieben hat.

Perfekt aufgebaut und instrumentiert ist dieses Kinostück freilich, mit extremer Zeitlupe werden zentrale Momente verdichtet. Das amerikanische Trauma 9/11 wird nochmals emotional stark in Erinnerung gerufen, indem es auf die persönliche Ebene heruntergebrochen wird, und trotz der vielfältigen ernsten Themen bewahrt "Extremely Loud and Incredibly Close" große Leichtigkeit.

Von der ersten Einstellung mit einem vom dem strahlend blauen Himmel fallenden Menschen an bietet Daldry Hochglanzkino, das zwar unterhält, dem aber auch alle Ecken und Kanten fehlen. Trotz Weltkriegstrauma wirkt da Max von Sydow immer noch wie ein unerschütterlicher Fels in der Brandung und auch der hochintelligente Junge ist eher einer Kinophantasie als dem Leben entsprungen. – Kalkuliertes Retortenkino ist das, das mit den Gefühlen der Zuschauer spielt und aus der Schilderung vieler Verluste und Traumata heraus im gedehnten Finale schließlich das Bedürfnis des Publikums nach Trost und Hoffnung befriedigen will.

Solche Angebote kann und will der Uruguayer Rodrigo Plá, dessen "La demora – The Delay" im "Forum" läuft, nicht machen. Ungleich kleiner ist seine Geschichte, aber auch ungleich näher am Leben. Keine geschönten Bilder gibt es hier, sondern die ganze Vergänglichkeit des Menschen macht Plá schon in den ersten Einstellungen sichtbar, in denen er zeigt, wie ein alter Mann gewaschen wird.

Um diesen dementen Mann kümmert sich seine Erwachsene Tochter, die zudem noch alleine für ihre drei schulpflichtigen Kinder sorgen muss. Nicht nur das Geld reicht nirgendwohin, auch phsisch und psychisch ist diese Frau völlig überlastet.

Während Sandra Bullocks Gesicht in "Extremely Loud and Incredibly Close" immer perfekt hergerichtet ist, sieht man Roxana Blanco in jeder Einstellung die Überlastung an. Als ihr Versuch den Vater in einem Heim unterzubringen, abgewiesen wird, lässt sie ihn auf einer Parkbank sitzen. Die Angst um den Vater ist aber bald größer als die Erleichterung diese Last nun los zu sein. Gewissensbisse werden immer stärker, zunächst verständigt sie die Polizei, dann macht sie sich selbst wieder auf die Suche nach dem Ausgesetzten.

Am Ende wird der Film - und die Frau - wieder am Anfang stehen, aber es gibt in einem Land, in dem man offensichtlich durch das soziale Netz fällt, eben keine einfache Lösung für das Problem der Mutter. Plá aber hat in diesen 84 konzentrierten Minuten in Einstellungen von desolaten Orten und in fahlen Blau- und Grüntönen über die erzählte kleine Geschichte hinaus auch einen Einblick in die tristen Verhältnisse in Uruguay geboten.