Hitlers Kulturpolitik, Kunsthandel und Einlagerungen in der NS-Zeit im Salzkammergut

Das Salzkammergut war während des Zweiten Weltkriegs wie keine andere Region in Österreich Umschlagplatz und Bergungsort von bedeutenden Kunstwerken der europäischen Kunstgeschichte, darunter auch NS-Raubkunst. Die Schau im Lentos Kunstmuseum Linz, in Kooperation mit der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024, präsentiert über 80 Gemälde und Objekte, die während der Kriegsjahre im Salzkammergut gesammelt, gelagert, geborgen und gerettet wurden. Die kritische Installation „Ruinenwert“ (2019) der deutschen Künstlerin Henrike Naumann ergänzt die Ausstellung um eine zeitgenössische Perspektive.

Adolf Hitler ließ für sein geplantes Linzer „Führermuseum“ im Zweiten Weltkrieg geraubte und gekaufte Kunstwerke im Salzbergwerk Altaussee einlagern. Auch die berühmte Sammlung Schack wurde von München nach Aussee transferiert. So landeten bedeutende Gemälde der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts im Salzkammergut. Auch die österreichischen Museen nutzten 1944/45 ein Bergwerk, den Kaiser-Franz-Josef-Erbstollen in Lauffen bei Bad Ischl, als Bergungsort für ihre Kunstschätze. Das ist die Rahmenhandlung für die Ausstellung „Die Reise der Bilder“ im Lentos Kunstmuseum Linz, die sich im Spannungsfeld brisanter Themen wie Raubkunst, „Arisierung“, Restitution und Kunstschutz bewegt.

Meisterwerke vom 8. bis 20. Jahrhundert u. a. von Arnold Böcklin, Goya, Edvard Munch, Lovis Corinth, Jacob van Ruisdael, Anthonis van Dyck, Giovanni Battista Tiepolo, Max Liebermann, Jakob Jordaens, Tizian, Moritz von Schwind und Ferdinand Georg Waldmüller präsentieren sich in Petersburger Hängung an den Wänden des Ausstellungssaals des Lentos. Zu sehen ist ebenfalls ein historisches Modell des Genter Altars, dem eine komplexe Provenienzgeschichte zwischen Raub, Repatriierung und Rettung zugrunde liegt. 1919 mussten die Bildtafeln des Altars von den Deutschen als Auflage des Versailler Vertrags nach Belgien überstellt werden – als Kompensation für Kriegsschäden an belgischem Kulturgut – was in Deutschland jedoch als Kunstraub gewertet wurde. Hitler ließ daraufhin 1940, bei dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Belgien, die Bildtafeln evakuieren und ins Schloss Neuschwanstein bringen, von wo aus sie 1944 im Altausseer Bergwerk landeten.

Ein Hauptkapitel und zentraler Fokus innerhalb des Ausstellungskonzepts ist dem von Hitler für Linz projektierten „Führermuseum“ sowie dem „Sonderauftrag Linz“ gewidmet. Mittels eines Erlasses, dem „Führervorbehalt“, wurde ein System geschaffen, das es Hitler und seinem Stab vom „Sonderauftrag Linz“ ermöglichte, sich aus im gesamten Deutschen Reich und den besetzten Gebieten „sichergestellten“ und beschlagnahmten Kunstgütern vorrangig zu bedienen. Bis zu ihrer vorläufigen Endstation im Salzbergwerk Altaussee durchliefen die für das „Führermuseum“ vorgesehenen Gemälde in der Regel bereits bis zu vier Etappen – u. a. München/„Führerbau“, Wien/Zentraldepot, Gemäldegalerie Dresden und das Stift Kremsmünster.

Hitlers Wertschätzung der in der Münchner Schack-Galerie vertretenen Künstler trug maßgeblich dazu bei, dass gegen Ende des Zweiten Weltkriegs 70 Gemälde aus dieser Galerie, heute als Sammlung Schack, Teil der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, im Bergwerksstollen von Altaussee eingelagert wurden. Die ganze rechte Flanke des Ausstellungssaals des Linzer Kunstmuseums widmet sich dieser komplexen Thematik mit exemplarischen Kunstwerken von Künstlern wie u. a. Arnold Böcklin, Anselm Feuerbach, Antonis van Dyck, Moritz von Schwind, Carl Spitzweg und Ferdinand Georg Waldmüller.

Allerdings waren während der Zeit des Zweiten Weltkriegs nicht nur Werke für das „Führermuseum“ im Salzkammergut eingelagert. Aus Sorge vor Bombenangriffen verlagerten auch die Wiener Museen 1944/45 ihre Meisterwerke im Zuge der Geheimaktion „Berg“ in den heute nicht mehr zugänglichen Stollen des Salzbergwerks von Lauffen bei Bad Ischl. 1.428 Gemälde und 1.000 Kisten befüllt mit Kunstwerken der österreichischen Museen, u. a. des Kunsthistorischen Museums, der Österreichischen Galerie (heute Belvedere), der Albertina, der Liechtenstein’schen Sammlungen, des Völkerkundemuseums (heute Weltmuseum) oder der Akademie der bildenden Künste gelangten somit während des Zweiten Weltkriegs an einen sicheren Bergungsort. Einige der ehemals dort eingelagerten Meisterwerke werden im Lentos exemplarisch an der Nordwand der Ausstellung präsentiert, darunter auch Arbeiten im NS-Regime diffarmierter, „entarteter“ Künstler, wie Munch und Corinth.

Unter den ausgestellten Kunstwerken befinden sich auch Gemälde, die von den Nazis geraubt und später an ihre Besitzer:innen zurückgegeben wurden, sowie Werke, deren Herkunft Gegenstand fortwährender Provenienzforschung ist. Die aktuellen und historischen Besitzverhältnisse der präsentierten Gemälde, alle sind Leihgaben renommierter öffentlicher Museen in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Österreich, werden in der Ausstellung ausführlich dokumentiert. Als Beispiel von vielen in der Schau thematisieren Irrfahrten der Kunstwerke können die 10 Gemälde genannt werden, die an der Ostwand der Ausstellung präsentiert werden, und bereits vor 1945 von einem österreichischen Bergungsdepot zum nächsten reisten und über Umwege in der Obhut der oberösterreichischen Landesmuseen (heute Landeskultur GmbH) landeten, wo sie zwar für den „Collecting Point München“ zur Rückstellung bereit standen, jedoch letztendlich in Linz verblieben. Anfang der 2000er-Jahre wurde ein Forschungsprojekt gestartet, um die Provenienzen zu klären und Hinweise auf NS-Enteignungen zu finden. Ein Gemälde wurde daraufhin restituiert, für mehrere Werke konnte die Provenienz geklärt werden, bei einigen kann ein Raubkunst-Verdacht nicht zur Gänze ausgeschlossen werden.

Im Annexraum thematisiert die Ausstellung die Netzwerke des Kunsthandels während des Zweiten Weltkriegs ausgehend von Bad Aussee, die Protagonisten sind Wolfgang Gurlitt und Johannes Hinrichsen. Im Mittelpunkt steht hier eine der bekanntesten Restitutionen des Lentos Kunstmuseum Linz. Das Gemälde Frauenbildnis (Ria Munk III) von Gustav Klimt befand sich nach Kriegsende in den Händen des Kunsthändlers Wolfgang Gurlitt, dem Gründungsdirektor des heutigen Linzer Kunstmuseums, und ging mit dem Ankauf 1956 in den Besitz der Stadt Linz über. Es befand sich in den städtischen Museen – der Neuen Galerie der Stadt Linz und deren Nachfolgeinstitution Lentos Kunstmuseum Linz – und wurde schließlich 2009 restituiert. In der Ausstellung sind der Original-Rahmen und einige eindrückliche Reproduktionen der Munk-Varianten zu sehen. Die Stadt Linz begann bereits 1996, sich mit ihrem nationalsozialistischen Erbe auseinanderzusetzen und ihre Geschichte kritisch aufzuarbeiten. Bis heute wurden 12 Gemälde aus der Sammlung Wolfgang Gurlitt, die die Stadt erworben hatte, restitutiert. Eine weitere Restitution war ein Ankauf des Salzburger Kunsthändlers Friedrich Welz.

Eine zeitgenössische Perspektive bietet die kritische Installation „Ruinenwert“ (2019) der deutschen Künstlerin Henrike Naumann. Raumgreifend positioniert in der Mitte der Ausstellung, beschäftigt sich das Werk konkret mit dem deutschen Wohnzimmer aus der NS-Zeit als einer repräsentativen und von Macht und Ideologie durchdrungenen räumlichen Figuration. Die innere Architektur des Wohnzimmers wird bei Naumann zu einem performativen Raum zwischen intimer Gemütlichkeit im privaten Alltag und ästhetischpolitischer Inszenierung für Staatsangelegenheiten und Gäste.

Damit sich die verschiedenen Stränge der Erzählung zwischen dem Salzkammergut, dem Herkunftsort der Gemälde und dem Ausstellungsort verbinden, veranschaulichen Nicole Six und Paul Petritsch das Zustandekommen der Ausstellung innerhalb eines Filmprojektes: Sie filmten einerseits die in der historischen Erzählung vorkommenden Orte im Salzkammergut und dokumentieren andererseits anhand konkreter Gemälde deren Weg von den leihgebenden Institutionen ins Linzer Lentos. In der Ausstellungsgestaltung wechseln auf farbschattierten Wänden ein Netz von Gemälden in Petersburger Hängung mit Bildtiteln, Provenienz-Ketten, gelehnten Wandelementen und Monitoren. Dieser Rundum-Blick verknüpft mit kritischer Distanz die Werke mit ihrer NS-Geschichte und den Bemühungen der Nachkriegszeit um Rückgabe (Restitution) bis hin zur Gegenwart.

Die Reise der Bilder
Hitlers Kulturpolitik, Kunsthandel und Einlagerungen in der NS-Zeit im Salzkammergut
20. März bis 8. September 2024