Das Haus der Kunst in München präsentiert mit Heidi Bucher (1926 - 1993) eine bedeutende und wiederzuentdeckende Künstlerin der internationalen Neo-Avantgarden, die mit ihren Latex-Werken die Zwänge und Befreiungsprozesse menschlicher Existenzformen ergründet.
Mit ihrer performativen Arbeit lenkt sie den Blick auf den Körper im Raum, dem sich Erlebnisse, Beziehungen und Emotionen einschreiben. Die Retrospektive stellt erstmals alle zentralen Werkgruppen der Öffentlichkeit vor, von den Anfängen über die experimentelle Zeit in Los Angeles und New York, das Hauptwerk mit den Architektur-Häutungen bis zum auf Lanzarote entstandenen Spätwerk.
Aus Buchers anfänglicher Faszination für ein Zusammenspiel von Kunst und Mode gingen schon im Kalifornien der frühen 1970er-Jahre geschlechterlose Körperskulpturen hervor. Die trag- und tanzbaren Körperskulpturen "Bodyshells" zelebrieren bereits ihren Skulpturenbegriff zwischen Performance und Objekt und lassen Skulptur, Architektur, Design und Tanz miteinander verschmelzen. Für ein Symposium im Rahmen dieser Ausstellung werden sie rekonstruiert und erneut aktiviert.
Mit den unter enormen körperlichen Kraftanstrengungen durchgeführten Latex-Häutungen übertrug Bucher psychische Prozesse auf das Material. Die Inbesitznahme und Verwandlung von Räumen wurde Mitte der 1970er Jahre zum Leitmotiv, beginnend mit dem Abzug ihres eigenen Künstler-Studios Borg im Kühlraum einer ehemaligen Metzgerei. Auch in ihrem Elternhaus trug sie flüssiges Kautschuk auf Boden und Wände des "Herrenzimmers" (1978) auf, das ehemals den männlichen Familienmitgliedern vorbehalten gewesen war, und löste mit dieser Häutung sinnbildlich die patriarchale Familienstruktur ab.
Die Schauplätze, die Heidi Bucher wählte, besaßen vielfach private und öffentliche Bedeutung zugleich, wie die psychiatrische Klinik Bellevue am Bodensee. Sie häutete dort unter anderem das "Audienzzimmer des Doktor Binswanger" (1988), wo Sigmund Freud in engem Austausch mit Binswanger seine erste Probandin, die vermeintliche Hysterie-Patientin Anna O. und spätere Frauenrechtlerin Bertha Pappenheim, behandelte. Mit der Häutung des Eingangsportals des verlassenen Grand Hôtel Brissago am Lago Maggiore stellte sich Bucher einem kollektiv von Schuld und Scham besetzten, höchst ambivalenten Raum: Das Hotel war zunächst Erholungsort für Intellektuelle gewesen und wurde während des Regimes der Nationalsozialisten zu einem staatlich organisierten "Interniertenheim" für jüdische Kinder und Frauen. Sie begriff die Haut als Schnittstelle zur Welt, als sensorischen Speicher von Erinnerung.
Wenn Heidi Bucher mit ihren Häutungen gesellschaftliche wie private Machtstrukturen entlarvte, so öffnete sie in einem nächsten Schritt den Raum auch für Veränderung. Der Aspekt der Metamorphose kommt in ihrem Manifest "Parkettlibelle" zum Ausdruck, in dem sie ihre Arbeit als einen "Metamorphosenprozess" bezeichnet. Bei diesem geht die Loslösung von sozialer Konditionierung mit der Aufweichung und Mobilisierung von Gegenständen, und eben auch von statischen Verhältnissen, einher. Buchers Œuvre zeugt von einer künstlerischen Entdeckung und Emanzipation des sensuellen, empfindsamen Körpers im 20. Jahrhundert, wobei sie geschlechterlosen Utopien den Boden bereitete und sich entschieden gegen Ablehnung, Unterdrückung und Diskriminierung positionierte.
Heidi Bucher - Metamorphosen
bis 13. Februar 2022