Händels Theodora in abstrakt-konkreter Inszenierung im Museumsquartier

Konkret und akribisch nachgebaut der Schauplatz: nämlich das Café Central, die Nummer Eins der Wiener Kaffeehausattraktionen; abstrakt implementiert: eine frühchristliche Märtyrergeschichte – Stefan Herheim, der Intendant des MusikTheater Wien und diesmal auch Regisseur von Georg Friedrich Händels Oratorium "Theodora", wagt und gewinnt. Obendrein tritt der weltweit gefeierte Countertenor und Händel-Interpret Bejun Mehta als feinsinniger Dirigent des La Folia Barockorchesters hervor.

Schon sehr eindrucksvoll, wenn sich in der Halle E des Museumsquartiers (noch immer Ausweichspielstätte, bis Ende 2024) der Vorhang hebt und das 1868 im Gebäude der von Heinrich Ferstel im neugotischen Stil erbauten Österreichisch-Ungarischen Bank eröffnete Café Central originalgetreu erscheint. Der Arnold Schoenberg Chor hat als chic-gekleidete Touristen an den Kaffeehaus-Tischen die Plätze eingenommen, die fünf Protagonisten der Handlung sind Kellner. Weiter will man sich mit der Interpretation von Querverbindungen in die Jetztzeit oder Kaffeehauskultur nicht mehr beschäftigen, denn dieses Ambiente funktioniert als starkes Bild und Abstraktion für die Handlung. Stefan Herheim: "Es geht mir gar nicht darum, die Geschichte linear wiederzugeben ... Von Verfolgung, Gottvertrauen und Trost im jenseits singend, bewegen sie [Personal und Gäste] sich zwischen dem Materiellen und dem Geistigen, das sie zu verbinden suchen. Das Kaffeehaus ist Katakombe und Kathedrale zugleich."

"Theodora" ist ein Oratorium, keine Oper, und erzählt die Legende von der Jungfrau aus Antiochien, die sich weigerte, den römischen Göttern zu opfern. Zu Händels Zeiten wurde dieses jedoch auf Theaterbühnen aufgeführt, nach spärlichen Berichten standen die Sängerinnen vor dem Chor und Orchester, während Händel selbst im Zentrum der Bühne für Pausenkonzert-Intermezzi an der Orgel saß. Er ließ sich sogar eine mit waagrechten Pfeifen konstruieren, damit er für das Publikum besser zu sehen war (siehe auch Kultur Online). Das Stück war trotzdem ein Misserfolg.

Die Besonderheit an diesem Oratorium ist, dass es nicht um eine Heldinnen-Geschichte geht oder um die äußeren Vorgänge von Christenverfolgung und Martyrium, sondern sich der Darstellung von menschlichen Empfindungen und grundlegenden Fragen zu individueller Glaubensfreiheit, der Rechtmäßigkeit von Gesetzen und gesellschaftlichen Werten widmet. Für Theodora – edel in Erscheinung und Gesang, die Sopranistin Jacquelyn Wagner – ist der Tod keine Bedrohung, sondern eine Verheißung himmlischer Glückseligkeit. Den Ausweg im Gebet, mit eindringlichen Gesangsparts, findet ihre Vertraute Irene – hervorstechend, die frankokanadische Mezzosopranistin Julie Boulianne. Doch Theodora bis ins Mark treffen kann der Statthalter Valens – sehr präsent, der amerikanische Bass-Bariton Evan Hughes – mit der Androhung, sie ins Freudenhaus zu verbannen. Der römische Soldat Septimus – David Portillo mit schön geführter lyrischer Tenorstimme – empfindet zwar Mitgefühl, Verständnis und Toleranz, wird aber seine Pflicht erfüllen. Sein Kollege Didymus – hervorragend, der amerikanische Countertenor Christopher Lowrey – hält jedoch ein Gesetz prinzipiell für falsch, das Menschen zwingt, zugunsten einer staatlichen Macht gegen ihre religiösen Überzeugungen zu handeln, und riskiert damit sein Leben. Er ist heimlich konvertiert und liebt Theodora.

Dem Chor – wie immer brillant der Arnold Schoenberg Chor – kommt im Reflektieren und Verbinden der religiösen Grundüberzeugung eine große Bedeutung zu. Mal sprechen (singen) sie für die römischen Heiden, dann verkörpern sie die Christen. Unmerklich wechseln sie dazu die Bekleidung, ziehen sich bis auf die Unterwäsche aus, um sich dann wieder wirkungsvoll und raumbildend zu formieren. Für Theodora und Didymus gibt es im gemeinsamen Tod das Happy Ending und für das Publikum ein wunderschönes Duett der beiden. Manieristisch, das Schlussbild mit der plötzlich heruntergefahrenen Gewölbedecke und dem darüber erscheinenden männlichen Engel mit pompösen weißen Flügeln. Tosender Applaus.

Theodora von Georg Friedrich Händel
Oratorium in drei Teilen, Libretto von Thomas Morell

Musikalische Leitung: Bejun Mehta
Inszenierung und Licht: Stefan Herheim
Bühne: Silke Bauer
Kostüm: Gesine Völlm
Licht: Franz Tscheck
Video: Roman Hagenbrock
Dramaturgie: Kai Weßler

Theodora: Jacquelyn Wagner
Didymus: Christopher Lowrey
Septimius: David Portillo
Valens: Evan Hughes
Irene: Julie Boulianne
Ein Bote: Zacharías Galaviz-Guerra

La Folia Barockorchester
Arnold Schoenberg Chor, Leitung: Erwin Ortner