Getrennte Welten – Formen des Eigensinns

Noch nach 25 Jahren löst die vierzigjährige Trennung der Kunstwelt in Deutschland Konflikte im Rahmen der Rezeption aus, wie es nicht zuletzt die "Tübke-/Triegel"- Präsentation zu Beginn des Jahres in der Kunsthalle Jesuitenkirche ganz aktuell wieder deutlich werden ließ. Beide Kunstwelten sind nicht bloß auf den Widerstreit der politischen Systeme zu reduzieren. Schließlich war eine gemeinsam geteilte Geschichte anfänglich der Ausgangspunkt ihrer trennenden Entwicklung mit oft schmerzhaften Eingriffen.

In der Ausstellung werden, ausgehend von vier Grundkonstellationen, dem Wiederanknüpfen, dem Aufbrechen, dem Ausbrechen und dem Fortentwickeln ausgewählte künstlerische Formen des Eigensinns in Ost und West gegenübergestellt, um Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede zu zeigen. Die Ausstellung spannt den Bogen über die gesamte Zeitspanne von 1945 bis zur Wende, fokussiert sich aber aufgrund der schier unüberschaubaren Menge künstlerischer Positionen in gut vier Jahrzehnten vorrangig auf das Medium der Malerei.

Erstmals nach der diffamierenden Ausstellung "Entartete Kunst" in Dresden 1933 nach Machtergreifung der Nationalsozialisten war die ganze stilistische Breite von expressionistischer, surrealistischer, konstruktivistischer, abstrahierender, neusachlicher und realistischer Kunst zu sehen – dabei lag der Fokus der Präsentation auf Werke der Brücke-Künstler, des Bauhaus-Umfeldes und denen der politischen Künstler der Assoziation revolutionärer Künstler Deutschland (ASSO). Zahlreiche Dresdner lehnten die moderne Kunst – die auf abenteuerlichen Wegen aus dem Süden und den Südwesten des amerikanisch und französisch besetzten Deutschlands die Ausstellung erreicht hatte – heftig ab. Damit hatte das Aufbegehren gegen die Moderne in der "Ostzone" ihren Anfang genommen.

66 Künstlern um Crodel, Bachmann, Kitzel und Sitte gelang es in Halle bereits ab 1945 an der Burg Giebichenstein ihre expressive und figurative Malerei wieder aufzugreifen. Hubbuch, Laible, Becker begannen 1947 in Karlsruhe ähnlich, gerieten aber nicht wie in Halle durch Angriffe aus Partei und Bevölkerung unter politischen Druck. Die meisten Träger des künstlerischen Aufschwungs in Halle, mit Ausnahme Sittes, verlassen nach harten Konflikten die Stadt. Kitzel wird in Folge in Karlsruhe mit Grieshaber zum Träger der Karlsruher Figuration.

Nicht nur Künstler in Recklinghausen verfolgten beim "jungen westen" um Grochowiak, Schumacher und Werdehausen abstrahierend informelle Ausdrucksweisen. Auch in der Dresdner Künstlergruppe "Der Ruf" um Kesting und Glöckner sowie ab 1947 als informelle Gegenwelt waren ein halbes Dutzend Künstler abstrakten Stilrichtungen zuzurechnen. Anders als im Westen fehlte ihnen im Osten der Rückhalt bei anderen informellen Künstlergruppen, die unmittelbare Anschauung internationaler "Vorbilder" und die Resonanz in der Öffentlichkeit.

Heisig, Tübke und Mattheuer, anfangs künstlerische Hoffnungsträger, gerieten zwischenzeitlich in Konflikte mit der Doktrin des sozialistischen Realismus´ der Partei, um aber ab 1972 als Leipziger Schule zum Aushängeschild der DDR-Kunst schlechthin zu werden. Sie knüpften künstlerisch an Manierismus, Verismus und symbolischen Realismus an, was sie in ständiger Spannung zur Parteilinie hielt. Als Lehrende und Verbandsfunktionäre betrieben sie eine regelrechte Schulbildung, aus der die nicht weniger eigenständigen Künstler Ebersbach, Rink, Hachulla und Stelzmann hervorgingen.

Sechzehn Berliner Künstler um Hödicke, Lüpertz und Petrick gründeten die Produzentengalerie Großgörschen 35, um vom Informel kommend, zu konkreten Aussagen durch figurative Formen zu gelangen. Nach nur einem Jahr eskalierten Konflikte und entzweiten die Gruppe: Ein größerer Teil arbeitete künftig als kritische Realisten; die expressiv Ausgerichteten waren wiederum Impulsgeber für die späteren Neuen Wilden.

Der gebürtige Dresdner A. R. Penck (eigentlich Ralf Winkler) entwarf eine eigensinnige künstlerische Handschrift, thematisierte Entstalinisierung und Teilung durch die Mauer in Weltbildern. Er stellte erstmals 1972 auf der documenta 5 in Kassel aus, die im Osten keiner sehen durfte. Er begann im gleichen Jahr kollektive Malexperimente mit der Gruppe Lücke TPT in Dresden. Ein Künstler im Sinne der DDR wurde er durch beides nicht. Er verließ 1980 unter zunehmendem Druck die DDR um im Westen seine Arbeit fortzusetzen.

Claus, Ranft, Ranft-Schinke, Morgner und Schade-Kozik bildeten in Chemnitz eine Produzentengalerie und Künstlergruppe (Clara Mosch). Ihre Ausstellungen, Feste und pleinair -/Freiluftaktionen wuchsen fünf Jahre lang zu spektakulären Anziehungspunkten in der Kunstprovinz. Sie gerieten ins Visier staatlicher Beobachtung und Intrigen. Prem, Sturm und Bachmayer, unterstützt von weiteren Künstlern, fanden sich zum Münchner "Kollektiv Herzogstraße" zusammen. Ihre großen Gemeinschaftsbilder entstanden teils bei gemeinsamen Aufenthalten in Drakabygget, Schweden.

Künstler um Huniat, Firit, Grimmling, Dammbeck, Wegewitz und Heinze organisierten im Handstreich, ungefragt aber nicht illegal, für ihre junge Kunst auf dem "1. Leipziger Herbstsalon" 1984 eine unabhängige Plattform. 10.000 Besucher wurden trotz undurchführbarer bürokratischer Auflagen Zeuge dieses Kunstspektakels – angelockt allein durch Mundpropaganda. Aber der Impuls blieb einmalig, es reichte nicht zum zweiten Anlauf.

Während der 1980er-Jahre entwickelte sich in Ostdeutschland eine stilistische Vielfalt, die nur noch als Zusammenspiel individueller Positionen angemessen zu begreifen ist, wie es sich auch in der westdeutschen Kunst abzeichnete. Die Ausdrucksweisen waren jeweils zu individuell, um künstlerisch noch auf eine Systemdifferenz zurückzuführen. Dennoch: Politische Privilegierungen der Einen wie Repressalien der Anderen fielen erst mit der Wende.


Getrennte Welten – Formen des Eigensinns
Deutsche Kunst in Ost und West vor der Wende
26. September 2015 bis 31. Januar 2016