Genial und provokativ: Lars von Trier

26. November 2018 Walter Gasperi
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Mit Filmen wie "Breaking the Waves", "Dancer in the Dark", "Dogville" und "Melancholie" schuf der 1956 geborene Däne Meisterwerke des modernen Kinos, gleichwohl blieb er immer umstritten und provozierte nicht nur mit seinem Nazi-Sager 2011 in Cannes. Das wird sich auch mit seinem demnächst startenden Serienkillerfilm "The House That Jack Built" nicht ändern.

Zur "persona non grata" erklärte das Filmfestival von Cannes 2011 Lars von Trier, als dieser bei der Pressekonferenz zu "Melancholia", genervt von der Frage eines Journalisten, erklärte "Ich bin ein Nazi. Ich verstehe Hitler". Heuer lud man den Dänen dann aber doch wieder mit "The House That Jack Built" ein, wenn auch dieser Serienkillerfilm außer Konkurrenz lief. – Man sucht eben auch das mediale Interesse, für das er mit seinen Filmen sorgt.

Nicht erst seit diesem Eklat ist der am 30. April 1956 in Kopenhagen geborene Lars von Trier eine kontroverse Figur und auch er selbst scheint seit seiner Kindheit zerrissen zu sein. Antiautoritär und atheistisch erzogen glaubte er bis zu seinem 33. Lebensjahr jüdische Wurzeln zu haben, erst auf ihrem Totenbett offenbarte ihm seine Mutter, dass sein sozialer Vater nicht sein biologischer war und er das Kind eines Dänen sei.

Schon im Volksschulalter interessierte er sich für Film und drehte mit einer Super-8-Kamera kleine Animationsfilme, andererseits litt er auch schon damals an Depressionen und Phobien, die später auch zu Alkoholismus und Tablettenabhängigkeit führten.

Von 1979 bis 1982 studierte er an der Dänischen Filmhochschule. Für Aufsehen sorgte er schon mit seinem Abschlussfilm "Bilder der Befreiung" (1982), in dem er einen in Farbe gedrehten "Handlungsteil" mit Dokumentarmaterial aus der Zeit des Nationalsozialismus sowie farbigen Filmausschnitten von einem Vogel, der auf der Spitze eines Baumes zwitschert, kombiniert.

Seine Experimente mit den Möglichkeiten des filmischen Erzählens setzte er mit seinem ersten Spielfilm "The Element of Crime" (1984) fort, erwies aber gleichzeitig seinen damaligen Vorbildern seine Reverenz. So erinnert die Geschichte vom Kommissar, der sich immer mehr mit dem verfolgten Verbrecher identifiziert, an Coppolas "Apocalypse Now". Die düstere Stimmung wiederum, die in diesem modernen Film noir mit monochromen Bildern und Mehrfachbelichtungen erzeugt wird, orientiert sich deutlich an Ridley Scotts "Blade Runner".

Ein düsteres Midnight Movie ist auch "Epidemic" (1987), von Triers zweiter Film und gleichzeitig der zweite Teil der "Europa-Trilogie". Zwei Filmemacher engagieren hier einen Hypnotiseur, um ihr Drehbuch dem Produzenten anschaulich zu erläutern. Mit unzähligen visuellen Einfällen lässt der Däne die Visionen der Filmemacher Realität werden und evoziert eine im Verfall begriffene Welt der Seuchen und Krankheiten.

Visueller Einfallsreichtum zeichnet auch den im Deutschland der unmittelbaren Nachkriegszeit spielenden "Europa" (1991), den Abschluss der gleichnamigen Trilogie, aus. Von Trier spielt in diesem Film, der von einem jungen Amerikaner erzählt, der in ein Komplott von deutschnational gesinnten Werwölfen gerät, nicht nur mit Farbe und Schwarzweiß, sondern nutzt auch die Rückprojektion zur Erzeugung einer mehrschichtigen Realität.

Parallel zu dieser Trilogie entstand fürs Fernsehen mit "Medea" (1988) nach Euripides und einem Drehbuch des großen dänischen Regisseurs Carl Theodor Dreyer eine ungewöhnliche, stark stilisierte Klassiker-Adaption. Auch nach "Europa" arbeitete von Trier mit der Serie "Geister" (1994/1997), die in einem Krankenhaus spielt und Horrorgeschichte, Krankenhaussoap und Satire mischt, fürs Fernsehen, drehte aber dazwischen mit "Breaking the Waves" (1996) auch wieder einen Kinofilm.

Dieses Melodram um eine Frau, die glaubt ihren gelähmten Mann retten zu können, indem sie sich prostituiert, entwickelte durch die Bilder von Robby Müllers wackeliger Cinemascope-Handkamera eine mitreißende Unmittelbarkeit und Intensität. Gleichzeitig fand von Trier mit diesem Film das Thema der sich opfernden Frau, das er in "Dancer in the Dark" (2000). Furios verbindet der Däne in diesem Film um eine tschechische Immigrantin in den USA, die alles für ihren erblindenden Sohn gibt, Melodram und spektakuläre Musicalszenen.

Provokativ bezog er auch mit dem Dogma-95-Manifest, das er am 20. März 1995, dem 100. Geburtstag des Films, in Paris präsentierte, gegen das traditionelle Kino Stellung und schwor jeder Künstlichkeit ab. Er selbst freilich drehte nur einen Film nach diesen Regeln und provozierte bei "Idioterne" ("Idioten", 1998), in dem junge Menschen "Irre spielen" und sich durch ihr idiotisches Verhalten gegen die Umwelt auflehnen.

Kühn mit dem Illusionscharakter des Kinos brach er auch mit "Dogville" (2003), mit dem er seine USA-Trilogie eröffnete. Weder zuvor noch danach besuchte der Däne freilich aufgrund seiner extremen Flugangst selbst die USA, sondern drehte mit einem hochklassigen Schauspielerensemble (Nicole Kidman, Lauren Bacall, Ben Gazzara, James Caan) in einer schwedischen Lagerhalle.

Auf Kulissen wird verzichtet, nur die Namen der Schauplätze der kleinen Stadt, in der eine Frau auf der Flucht vor Gangstern Zuflucht sucht, sind mit Kreide auf den Boden geschrieben. So minimalistisch dieser dreistündige an Brecht, Dürrenmatt und Thornton Wilders "Our Town" erinnernde Film ist, so mitreißend wird er durch die Montage und die Kameraarbeit von Anthony Dod Mantle.

Weniger zu überzeugen vermochte dagegen "Manderlay" (2005), der zweite Teil der USA-Trilogie, in der eine junge Frau die afroamerikanischen Sklaven einer Baumwollplantage in Alabama befreien und ihnen die Vorzüge von Freiheit und Demokratie lehren will. Wie in "Dogville" orientierte sich von Trier auch hier an Brechts epischem Theater, doch was beim Vorgänger durch die Neuartigkeit begeisterte, wirkt hier schon abgenutzt und auch die papierenen und endlos langen demokratiepolitischen Diskussionen ermüden mehr als mitzureißen. Wohl aufgrund dieses Misserfolgs wurde der geplante dritte Teil dieser Trilogie, der den Titel "Washington" tragen sollte, nie gedreht.

Neue Wege beschritt er mit der kapitalismuskritischen Komödie "The Boss of It All" (2006), die er mit der Aufnahmetechnik "Automavision" drehte, bei der Bildausschnitt per Computer nach einem Zufallsprinzip festgelegt wird, sodass Köpfe abgeschnitten werden, Bildausschnitte teils leer sind und auch abrupte Bildsprünge nicht fehlen.

Drei Jahre später schockierte und verstörte er das Publikum mit "Antichrist" (2009), in dem sich ein Ehepaar nach dem Verlust seines Kindes in eine Hütte im Wald zurückzieht und sich dort gegenseitig zerfleischt. Im Gegensatz zu diesem auf zwei Personen reduzierten Kammerspiel erzählte er 2011 in "Melancholia" in betörend schönen Bildern am Beispiel von zwei ungleichen Schwestern von nichts weniger als dem Untergang der Welt.

Als große Auseinandersetzung mit den Abgründen menschlicher Sexualität ist der zweiteilige und über vier Stunden lange "Nymphomaniac" (2013) angelegt, mit dem nach "Antichrist" und "Melancholia" das "Triptychon der Depression" abgeschlossen wird. Im Zentrum steht eine etwa 50-jährige Frau, die einem gebildeten älteren Herrn, der sie aufgenommen hat, in acht Kapiteln ihr Leben erzählt, in dessen Zentrum das Verlangen nach Sex stand.

Zahlreiche explizite Sexszenen, mit denen von Trier sichtlich auch provozieren wollte, fehlen zwar nicht, dennoch kann man dieses Opus magnum keinesfalls als Sexfilm abtun, denn durchgängig arbeitet der Däne mit Analogien. Er stellt Bezüge zu Philosophie, Religion und Musiktheorie her und spürt dem Verhältnis von Sex und Liebe sowie leidenschaftlichem Begehren, Zwang und Freiheit nach.

Dazu fügt er auch erklärende Schrifttafeln, Diagramme, Standfotos und Archivmaterial ein. In seinen Brüchen und formalen Spielereien ist "Nymphomaniac" damit zwar weniger rund und geschlossen als andere Filme des Dänen, dennoch aufregendes Kino. – Ob dies auch "The House That Jack Built" bieten wird, wird sich zeigen.

Trailer zu "Dogville"