"Frischzelle 20" im Kunstmuseum Stuttgart

Schon ein erster Blick auf die Werke von Otto D. Handschuh offenbart: Hier bricht ein Künstler mit gängigen Vorstellungen von Bildhauerei. Seine Skulpturen sind keine naturgetreuen Abbildungen, sie haben keine repräsentative Aufgabe und stellen weder die Ästhetik des Materials noch dessen handwerklich virtuose Beherrschung in den Vordergrund. Stattdessen beschäftigt er sich mit der Transformation von klassisch bildhauerischen Materialien. Handschuh (geb. 1978 in Bad Schlema) zeigt seine Arbeiten im Rahmen der "Frischzelle" erstmals in einer musealen Einzelausstellung.

Otto D. Handschuh, der an den Akademien der Bildenden Künste in Stuttgart und Karlsruhe studierte, arbeitet ausschließlich mit vorgefundenen Dingen und Materialien, die für die Bildhauerei typisch sind – wie etwa Sandstein, Metall und Holz. Beide löst er aus ihren ursprünglichen Zusammenhängen und verwandelt sie mittels bildhauerischer Strategien und Handlungen. Diese Handlungen lassen sich bezeichnen als: Zusammensetzen, Wegnehmen, Schneiden, Bemalen, Hinzufügen, Entleeren.

Das Prinzip des Entleerens liegt der Arbeit "Supernova" (2011) zugrunde. Handschuh trug dafür die Substanz eines historischen Sockel von 1818 soweit ab, das ein auf zwei "Beinen" stehendes, torartiges Objekt entstand. Dabei tarierte er nicht nur die Grenzen der Statik aus, er zerlegte eine bis dahin bestehende Realität und verwandelte sie in etwas, das eine eigene Realität konstruiert. Gleichzeitig hinterfragt er auf ironische Art das vermeintlich Feststehende, Jahrhunderte Überdauernde und bezweifelt dessen Anspruch.

Handschuh hat die Plastik vom Sockel gestoßen und arbeitet stattdessen an den Rändern des Übergangs von einem Zustand in den anderen. Dem Aufspüren von Leerstellen und Schnittstellen bei Konstruktionen und Dekonstruktionen gilt das eigentliche Interesse des Künstlers. Alle Aspekte der Bearbeitung legt Handschuh in seinen Titeln offen, die das prozesshafte Fortschreiten dokumentieren. Ihre Abfolge ist immer die gleiche: Entstehungszeitraum, Bezeichnung des Gegenstandes, neuer Titel, Maße, Gewicht. So lautete der vollständige Titel der Arbeit "Supernova": "November bis Februar 2011, historischer Sockel von 1818, entleert "Supernova", Sandstein 58 x 52 x 107, 300 kg".

Otto D. Handschuh setzt an einer Kernfrage unseres Daseins an: Wirklichkeit, was ist das? Eine verbindliche Definition von Wirklichkeit gibt es nicht mehr. Wirklichkeit wird erzeugt – ein Thema, das Künstlerinnen und Künstler in den letzten Jahrzehnten auch vor dem Hintergrund einer zunehmenden Dominanz virtueller Medien aufgreifen. Neue künstlerische Strategien werden im Zuge grundlegender Zweifel an der Wirklichkeit erprobt. Auch Handschuh rüttelt an der Überzeugung einer statisch fixierten Wirklichkeit und Gegenwart. Etwas Kafkaeskes steckt in diesem Ansatz, den er immer wieder beschwört, wobei er sich Leichtigkeit und Humor bei der Umsetzung bewahrt.

Eine seiner neuesten Arbeiten kann man als kritisch-ironischen Kommentar auf soziale Organisationsformen lesen. "Die innere Konstruktion von Büroräumen" (2013) ist eine mehrteilige Installation, die aus Elementen eines zuvor zerlegten Büros besteht: Vierkanthölzer und Reste von Türen setzt Handschuh zu teilweise fragilen Objekten zusammen.


Otto D. Handschuh
12. April bis 28. September 2014