Francesca Woodman & Birgit Jürgenssen

Kunst Meran zeigt erstmals die Doppelausstellung zu den Werken der amerikanisch-italienischen Künstlerin Francesca Woodman (1958 - 1981) und der österreichischen Künstlerin Birgit Jürgenssen (1949 - 2003). Alle 120 gezeigten Werke stammen aus der Sammlung Verbund in Wien. Dies ist bereits die zweite Zusammenarbeit der beiden Kunstinstitutionen, seit der Präsentation des Frühwerks von Cindy Sherman. Diese Doppelausstellung verdeutlicht einmal mehr das große Engagement von Kunst Meran als Forum für zeitgenössische Fotografie.

Nach Einzelausstellungen mit international renommierten KünstlerInnen darunter Man Ray, Boris Michailov, Urs Lüthi, Eliott Erwitt, Ugo Mulas und Cindy Sherman, werden nun zwei Künstlerinnen in den Räumen von Kunst Meran zusammengeführt, deren Bedeutung für die Kunstgeschichte erst in den letzten Jahren erkannt wurde. Die Arbeiten von Woodman und Jürgenssen sind in ästhetischer und konzeptioneller Hinsicht der "Feministischen Avantgarde" der 1970er-Jahre zugeordnet. Obwohl sich die beiden Künstlerinnen nicht persönlich kannten finden sich in ihren Werken zahlreiche Parallelen: Die Inszenierung des Subjekts, die Versehrtheit menschlichen Daseins und besonders die kritische Beschäftigung mit dem weiblichen Körper in der Kunst.

Beide Künstlerinnen nahmen ihre performativen Fotografien alleine im Atelier vor der Kamera auf, meist mit dem Selbstauslöser. Und für beide Künstlerinnen ist der Surrealismus als emanzipatorische Methode eine wesentliche Quelle ihrer künstlerischen Ausdrucksweise. Woodman und Jürgenssen sind Pionierinnen des "poetisch-performativen Feminismus" der 1970er-Jahre und setzten den weiblichen Körper in ihren Arbeiten bewusst als formales Instrument ein und schufen damit ein neues Bild der Frau. Indem die Künstlerinnen selbst entscheiden ihren Körper nackt einzusetzen, definieren sie den weiblichen Körper weder als "Natur" noch als "sexuelles Objekt", sondern selbstbestimmt als "Kunstwerk".

Während bisher die flüchtige Erscheinung der weiblichen Figur in den Fotografien von Francesca Woodman oft als ästhetische Vorwegnahme ihres frühen Suizides gedeutet wurde, will die Sammlung Verbund die Fotografien der Künstlerin jenseits dieser gängigen Auffassung lesen und einen neuen Horizont eröffnen, der sich auf das Tableau vivant, die Requisiten und den Körper im Raum konzentriert. Die Werke von Francesca Woodman entstanden in einer 9-jährigen Schaffensphase von 1973 bis 1981 im Kontext weiblicher Subjektivität, konzeptueller Fotografie, Performancekunst und der Entdeckung des Körpers als künstlerischen Ausdruck.

Die meisten Fotografien haben ein kleines, quadratisches Format, sind schwarz-weiß und wurden mit einer Großbildkamera aufgenommen. Die Künstlerin setzt ihren Körper, oft auch nackt, auf überraschend unkonventionelle Art und Weise in Bezug zu ihrem Atelierraum und erforscht ihre Neugier auf das weibliche Ich. Ihre Fotografien stellen Fragen, deuten Antworten an und reflektieren eine spezifische Ambivalenz, was es bedeutet, Frau zu sein. Die Ausstellung präsentiert 75 Fotografien von Woodman, davon sind 20 Vintage-Fotografien, Unikate, die noch nie in Italien zu sehen waren. Außerdem werden einige ihrer seltenen Farbdias und ein Video zur Vertiefung einer Poesie und metaphorischen Dichte gezeigt, die für den einzigartigen künstlerischen Ausdruck der amerikanisch-italienischen Künstlerin kennzeichnend sind.

Das Werk von Birgit Jürgenssen zeichnet sich als vielschichtige und stilistisch mannigfaltige Kunst aus. Die Ausstellung zeigt Schwarzweiß- und Farbfotografien, Polaroids, Rayogramme, Cyanotypien, Zeichnungen, Schuhobjekte sowie Stoffarbeiten und gibt damit einen Einblick in das weitgefächerte und experimentierfreudige Werk der österreichischen Künstlerin. Der weibliche Körper und seine Metamorphosen stehen im Zentrum von Jürgenssens Arbeiten. In den 1970er-Jahren hat sie sich intensiv mit feministischen und gesellschaftskritischen Themen und der Forderung "Das Private ist politisch" auseinandergesetzt.

Ein zentraler Topos im Werk der Künstlerin ist die Sprache, die sie ironisch visualisierte. Aus der Einsicht, dass sie sich als Künstlerin der symbolischen Sprache, in die sie hineingeboren worden ist, unterwerfen und anpassen muss, um in der Welt der Bedeutungen tätig zu werden, gewinnt sie ihre kreative Kraft. Inszenierungen des weiblichen Körpers in Form von Maskerade, Fragmentierung, Fetisch und Tier-Werdung ziehen sich durch ihr Œuvre. Voller surrealem Witz und Ironie reflektiert sie über die Geschlechter- und Gender-Stereotypen und unterläuft damit alltägliche Vorurteile und Missverständnisse der Gesellschaft.

Francesca Woodman (1958 - 1981) wuchs zweisprachig in den USA und Italien auf. Während ihrer Studienzeit an der Rhode Island School of Design in Providence (1975–1978) schuf sie zahlreiche Fotografien, die sie selbst in der Dunkelkammer entwickelte. Sie fotografierte in verlassenen Fabrikräumen, in denen sie ihren Körper in ungewöhnliche Beziehung zum Raum setzte. 1977 bis 1978 verbrachte sie ein Jahr in Rom und hatte in der surrealistisch orientierten Libreria Maldoror ihre erste europäische Einzelausstellung. 1979 zog Woodman nach New York und im Jänner 1981 nahm sich die Künstlerin im Alter von 22 Jahren das Leben.

Birgit Jürgenssen (1949 - 2003) ist eine der wichtigsten Vertreterinnen der Feministischen Avantgarde. Sie entdeckte mit 17 Jahren den französischen Surrealismus in Paris. Darüber hinaus ist ihr Werk von der Psychoanalyse Sigmund Freuds, ethnologischen sowie gesellschaftskritischen Diskursen inspiriert. In den 1970er-Jahren schuf sie ihr bekanntes Schuhwerk. 1982 initiierte sie den Unterricht für das Fach Fotografie an der Akademie der bildenden Künste Wien, wo sie bis zu ihrem Tod im Jahr 2003 lehrte.


Francesca Woodman & Birgit Jürgenssen
Werke aus der Sammlung Verbund
27. Juni bis 20. September 2015