Filmfestival Locarno 2013: Populäres, Experimentelles und Roches "Feuchtgebiete"

Weitgehend den bewährten Mix verspricht das Programm des 66. Filmfestivals von Locarno (7. – 17.8. 2013), wartet aber im Wettbewerb um den Goldenen Leoparden mit mehr großen Namen als in den letzten Jahren auf. Auch Stars wie Christopher Lee und Faye Dunaway haben sich angekündigt, Ehrenpreise gehen unter anderem an Werner Herzog und Otar Iosseliani.

Im Gegensatz zu den meisten anderen großen Filmfestivals wechselte die künstlerische Leitung des Filmfestivals Locarno Locarno in den letzten Jahren mehrmals. Auf Irene Bignardi folgte 2005 Olivier Maire, der schon vier Jahre später ins Schweizer Filmarchiv wechselte und durch Olivier Père ersetzt wurde.

Überraschend gab der Franzose im Herbst 2012 dann bekannt, den Posten des Generaldirektors von Arte France anzutreten. Zum neuen künstlerischen Leiter des Tessiner Filmfestivals wurde der italienische Filmkritiker Carlo Chatrian ernannt. Wie Chatrian selbst ankündigte, scheint er in seinem ersten Programm den Weg Pères fortzusetzen und Experimentelles mit Populärem zu mischen. Zu erforschen, was sich an den Grenzen des Filmspektrums bewegt, Schranken zu überwinden und das Kino von gestern und heute in einen Dialog zu stellen, erklärt Chatrian in der Pressemappe zur Programmkonferenz als seine Hauptziele.

Populäres wird vor allem wie gewohnt bei den abendlichen Open-Air-Vorführungen auf der prächtigen Piazza Grande geboten. Eröffnet wird hier mit der Actionkomödie "2 Guns" des Isländers Baltasar Kormákur, in der Mark Wahlberg und Denzel Washington zwei gegensätzliche Undercover-Agenten spielen. Ein Spezialist für warmherzige Unterhaltung ist Sam Garbarski ("Irina Palm"), der mit "Vijay and I" ebenso für einen Crowd-Pleaser sorgen könnte wie Sandra Nettelbeck, in deren "Mr. Morgan´s Last Love" der 80-jährige Michael Caine als einsamer Rentner die Liebe und damit das Leben nochmals entdeckt. Diese menschliche Komponente bestimmt auch Sebastian Lélios "Gloria", der schon bei der Berlinale das Publikum begeisterte.

Ihren Platz in diesem Aushängeschild des Festivals hat immer auch die Schweiz, die heuer mit zwei Produktionen vertreten ist: Der Westschweizer Lionel Baier erzählt in seiner Komödie "Les grandes ondes (á l´ouest)" von zwei Schweizer Journalisten, die 1974 in die Nelkenrevolution in Portugal verwickelt werden. Jean-Stéphane Bron widmet sich in seinem Dokumentarfilm "L´experiénce Blocher" dagegen dem Politiker Christoph Blocher.

Schrägeres und härtere Kost bieten dagegen die Spätvorstellungen. Quentin Dupieux, der vor einigen Jahren mit "Rubber" begeisterte, zeigt "Wrong Cops", Mikkel Norgaard ist mit der Verfilmung von Jussi Adler-Olsens Bestseller "Erbarmen" ("The Keeper of Lost Causes") vertreten und auch Jeremy Saulniers Rachethriller "Blue Ruin" steht auf dem Programm.

Aber auch die Filmgeschichte wird auf der Piazza Grande gepflegt: Anlässlich der Verleihung des Ehrenleoparden an Werner Herzog wird dessen grandioser "Fitzcarraldo" nochmals in diesem fantastischen Freilichtkino gezeigt. Zudem kommt mit "Rich and Famous", dem letzten Film des Hollywoodregisseurs George Cukor, auch ein Film aus der Retrospektive in diesem Rahmen zur Aufführung.

Künstlerisch avanciertere Filme dürfte dagegen der Wettbewerb bringen, in dem 20 Produktionen - 18 davon als Weltpremiere - um den Goldenen Leoparden konkurrieren. Das in den letzten Jahren so starke rumänische Kino wird hier durch Corneliu Porumboiu ("Police Adjective") vertreten, der "Când se lasă seara peste Bucureşti sau metabolism" ins Tessin bringt. Zu den weiteren bekannten Namen zählen die Japaner Kiyoshi Kurosawa, der den Science-Fiction-Film "Real" zeigt, und Shinji Aoyama, der schon vor zwei Jahren mit "Tokyo Koen" für einen Höhepunkt sorgte und heuer die Literaturverfilmung "Tomogui" ins Rennen schickt.

Keine Unbekannten sind auch der Spanier Albert Serra ("Historia de la meva mort"), der bislang ausgesprochen sperrige Filme drehte, sowie der Franzose Emmanuel Mouret ("Une autre vie"), der sich auf die Kunst der typisch französischen Komödie versteht ("L´art d´aimer") und der Koreaner Sangsoo Hong ("U ri Sunhi").

Wie groß die Bandbreite im heurigen Wettbewerb ist, zeigt sich auch darin, dass sich unter den Leoparden-Kandidaten überraschenderweise auch David Wnendts ("Kriegerin") Verfilmung von Charlotte Roches Skandal-Bestseller "Feuchtgebiete" oder der neue Film der "Amer"-Regisseure Hélène Cattet und Bruno Forzani finden.

Wie gewohnt stark vertreten ist beim "Heim"-Festival auch die Schweiz. Thomas Imbach zeigt seinen neuen Spielfilm "Mary, Queen of Scots", Pippo Delbono den autobiographisch inspirierten Film "Sangue" und Yves Yersin ("Les petites fugues") meldet sich nach langer Abwesenheit mit "Tableau noir" mit einem Dokumentarfilm über eine Schule im Neuenburger Jura zurück.

Raum für Entdeckungen neuer Talente soll auch wiederum die Sparte "Cinéastes du Présent" bieten, in der unter den 16 Filmen 14 Debüts präsentiert werden, während die Sparte "Appellations Suisse" mit einem guten Dutzend Filmen Einblick in das aktuelle Schweizer Filmschaffen vermittelt.

Die Verleihung der Ehrenpreise dient wiederum als Anlass die Ausgezeichneten auch mit der Vorstellung eines oder mehrerer ihrer Filme zu würdigen. Zu Ehren Christopher Lees, der mit dem Excellence Award Moët & Chandon ausgezeichnet wird, werden so "The Hound of Baskervilles", "Umbracle" und "The Wicker Man" gezeigt. Die Produzententätigkeit von Margaret Ménégoz, die den Raimondo Rezzonico-Preis erhält, wird mit den Vorführungen von Eric Rohmers "Conte d´été" und Jean-Claude Brisseaus "Noce Blanche" gewürdigt.

Die Verleihung des Ehrenleoparden an Werner Herzog wird von der Präsentation von über zehn seiner Filme begleitet und zu Ehren des Special-Effects-Experten Douglas Trumbull werden Kubricks "2001", "Silent Running", bei dem Trumbull auch Regie führte, und Spielbergs "Close Encouters of the Third Kind" gezeigt.

Auch die Verleihung des "Pardo alla carriera" für den georgischen Regisseur Otar Iosseliani und den italienischen Schauspieler Sergio Castellito wird von der Vorführung mehrerer ihrer Filme begleitet. Glanzvoll die Filmgeschichte gepflegt wird schließlich mit einer umfassenden Retrospektive des Werks von George Cukor von seinen Screwball-Komödien über den famosen "A Star is Born" bis zu "My Fair Lady".

Aufregende Dokumentarfilme verspricht schließlich wieder die vom Verband der Schweizer FilmjournalistInnen zusammengestellte "Semaine de la critique". Die Bandbreite der sieben Filme reicht dabei von "Die Hüter der Tundra", in dem sich René Harder mit dem Leben der Menschen in Nordnorwegen beschäftigt, über "Watermarks", in dem Luc Schaedler den Auswirkungen der ökonomischen Umwälzungen in China auf die Menschen nachspürt, bis zu "Master of the Universe", in dem Marc Bauder auf die Welt der Manager blickt. - Einem spannenden und vielfältigen Festival sollte somit nichts im Wege stehen.