Fade in the Past. Cut!

Sissa Micheli präsentiert in ihrer Einzelausstellung bei Kunst Meran eine Reihe von neuen Arbeiten – einige Werkserien sind erstmals für diese Ausstellung produziert worden. Unter dem Titel "Fade in the Past. Cut!" (Die Vergangenheit wird eingeblendet. Schnitt!) geht es der Künstlerin inhaltlich um eine Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten, welche die Fotografie als geschichtenerzählendes Medium an der Schnittstelle zu den filmischen Medien Kino und Fernsehen darstellt.

Anhand von medienreflexiven Herangehensweisen führt uns Sissa Micheli auf vielfältige Weise die Verknüpfungspunkte zwischen fotografischen und filmischen Bildern vor Augen, experimentiert an der Schnittstelle zwischen diesen Medien und prüft konstant die Bedingungen der unterschiedlichen Genres, wobei sie deren Grenzbereiche – wie im Titel der Ausstellung bereits angedeutet – überschreitet.

Dreh- und Angelpunkt der Ausstellung sind zwei großformatige Schwarz-Weiß Fotografien eines Wohnraumes als Szenarios für einen möglichen Drehort. Gegenüber an der Wand steht eine Schrift mit Glitzersteinen, "Scenario for a possible filming spot", welche an den dekadenten Glamour von Hollywood erinnert. Der Betrachter ist an dieser Stelle längst mitten in einer fiktiven Geschichte angelangt, die sich ihm wie in einer Erinnerungswelt bereits gesehener Bilder aus Film und Fernsehen offenbart. Eine Serie von Holzboxen mit Regieanweisungen, "Possible camera directions" (2013) – eine Mischung aus technischen Anweisungen und sinnlich narrativen Elementen – geben den bildlichen Vorstellungen weitere Anknüpfungspunkte. Sie wechseln sich ab mit Fotogrammen von Perücken von Schauspielerinnen – "In the spotlight: the actress" wigs" (2013). An anderer Stelle eine Installation mit Fotoblitzlicht Schirmen, betitelt "The moving motion picture studio" (2013).

Eine Reihe von Elementen und Requisiten begleiten uns durch die Ausstellung, die uns als einen ihrer Höhepunkte eine umfangreiche Serie von 17 Fotoarbeiten mit dem Titel "Yesterday"s tomorrows" (2012/2013) präsentiert, die in einer verlassenen, vor dem Abbruch stehenden Villa aus den 30er Jahren in Bruneck fotografiert wurden. Die reale Geschichte des Hauses wurde zum Ausgangspunkt für eine künstlerische Recherche, in welcher die Historie des Ortes sowie auch die Erinnerungen der Bewohner mit den Phantasien und Vorstellungen der Künstlerin verschmelzen. Die daraus entstehende Arbeit beinhaltet einen dokumentarischen und einen künstlerischen Teil, und wurde mit zwei verschiedenen Fotokameras aufgenommen, welche ihrerseits den fiktiven und den realen Ansatz repräsentieren: einer analogen Mamya, mit welcher Micheli die oben genannten Schwarz-Weiß-Aufnahmen mit dokumentarischem Charakter realisierte, und einer digitalen Kamera mit analogen Hasselbladobjektiven, einem "Hybrid" zwischen analoger und digitaler Technik, mit welcher der eben erwähnte inszenierte künstlerische Teil dieses Projektes entstand.

Ganz allgemein ist die Inszenierung ein wesentlicher Bestandteil der künstlerischen Arbeit von Sissa Micheli. In dieser konkreten Arbeit bringt sie für einen fotografischen Moment Objekte und Menschen zum Schweben, zum Fliegen oder Hängen, und "entrückt" sie somit ihrer gewohnten Lage. Dass sich Sissa Micheli in ihren Fotografien sehr häufig selber verewigt, verbindet sie mit einer Tradition von Künstlerinnen, die seit den 60er und 70er Jahren ihren eigenen Körper zum Gegenstand ihrer künstlerischen Recherche machten. Durch die Doppelrolle als kreatives Subjekt und passives Objekt macht sich Micheli zur aktiven Gestalterin der Bilder von Weiblichkeit. Gleichzeitig reiht sie sich mit ihrer Arbeit auch in die Tradition der Tableau-Fotografie ein, indem sie anhand von inszenierten Situationen bildhafte Erzählungen konstruiert, wobei jedes Einzelbild anhand seiner Komposition, Lichtführung und Choreographie der Personen und Gegenstände zum Sinnbild eines psychischen Zustandes avanciert.

Die spezifische Zusammenstellung von Figuren und Requisiten mobilisiert unsere kulturelle Fähigkeit, bedeutungsvolle Augenblicke von Erzählungen anhand von anderen, bereits gesehen Bildern zu erinnern. Die Vorläufer der Tableau-Fotografie führen uns oft zurück in vorfotografische Zeiten zu den Malereien des 18. und 19.Jahrhunderts, bei Sissa Micheli entdecken wir aber immer auch jede Menge an Verweisen auf die visuelle Geschichte von Kino und Fernsehen.

Fragmente einer Geschichte mit voyeuristischem Charakter sind die 6 kleinformatigen Fotokästen mit dem Titel "In the pinhole. A miniature story in 6 photographs" (2012). Sie stellen den Bezug zum Märchen oder zur historischen Begebenheit mit romantischem Charakter her. Wir sehen 6 mit einer Handykamera aufgenommene Szenen, die einen Gärtner und ein Mädchen in historischen Gewändern in Venedig zeigen, welche von einem runden Spotlight aus der umgebenden Dunkelheit hervorgehoben werden. Durch bewusst eingefügte Leerstellen und Lücken in der Erzählung entstehen freie, noch zu bestückende Zonen und nicht eingelöste Erwartungen. Die Begebenheit bleibt unklar und evoziert dadurch einen Gedankenfilm im Kopf des Betrachters. Ist es eine Liebesgeschichte? Oder ein möglicher Tatort!

Auch die Videodoppelprojektion "The last moments of M.A." (2010) beschäftigt sich mit den kulturellen Konditionen des Weiblichen, indem sie das Heim als Falle beschreibt, und sich dabei auf die letzten Stunden Marie Antoinettes bezieht. Zu unheimlich wirkenden Soundflächen und verzerrter Barockmusik wird die Psyche einer Frau aus zwei verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Diesen kompositionellen Kunstgriff der Doppelperspektive, der die Konstruiertheit des Blickes offensichtlich werden lässt, verwendet Sissa Micheli auch in den großen Fotografien der "Possible filming spots". All diese Bilder beinhalten eine ambivalente Verführungskraft, da sie die Schönheit eines Augenblickes beschwören, und gleichzeitig kollektive Ängste und Phantasien durch die Betonung des Unheimlichen und Vergänglichen in sich tragen.

Sissa Micheli verfolgt mit ihrer Arbeit zwischen Fotografie, Video und Installation das Ziel, anhand einer spezifischen Bildsprache die Bedeutung von Bildern und deren kulturstiftende Eigenschaften – sogenannte kulturelle Codes – zur Diskussion zu stellen. Indem sie bildliche Inhalte aus unserem kulturellen Erbe zum Einsatz bringt, wird uns als Betrachter bewusst gemacht, was wir sehen, wie wir sehen, und wie Bilder unsere Gefühle und unser Verständnis von der Welt prägen. Die darin enthaltene Kritik ist ein anhaltender Diskurs in der künstlerischen Praxis. Sabine Gamper

Sissa Micheli – Fade in the Past. Cut!
12. April bis 2. Juni 2013