Fabulous Muscles

Die Freiheitsstatue, das Wahrzeichen New Yorks und der USA, in Einzelteile zerlegt – das ist kein bilderstürmerischer Gestus, sondern die Beschreibung des künstlerischen Projekts "We the people". Unter diesem Motto aus der Präambel der 1788 in Kraft getretenen US-amerikanischen Verfassung setzt Danh Vo in einem mehrjährigen Prozess die Einzelteile der Freiheitsstatue in ihrer Originalgröße neu zusammen.

Danh Vo wurde 1975 in Saigon geboren und wuchs in Kopenhagen auf. Im internationalen Kunstbetrieb reüssierte er in den vergangenen Jahren mit seinen Objekten, Installationen, Fotografien und Arbeiten auf Papier zu den Themen Kolonialismus, Identität und Migration sowie zum Spannungsfeld zwischen Orient und Okzident. Damit verbindet er seine Kunst immer auch mit Kindheitserfahrungen in Vietnam, mit der Geschichte seiner Familie und mit deren Flucht nach Europa. Das Projekt "We the People", in dessen Mittelpunkt die Freiheitsstatue steht, ist jetzt nach Zwischenetappen in bedeutenden internationalen Museen – vom Fridericianum in Kassel bis zum Art Institute in Chicago – auch im Museion in Bozen zu sehen.

15 neue Kupferteile bringt der Künstler nach Bozen mit, die im weitläufigen vierten Stock gezeigt werden. Auf den ersten Blick erinnern diese Stücke an antike Statuen oder an die minimal art – nur manchmal erkennt man hier die Umrisse eines Faltenwurfs oder einen Zacken aus der Krone der Freiheitsstatue. Diese Arbeit besteht – ganz so wie das Original – aus Kupferplatten, die durch Treiben in die gewünschte Form gebracht wurden. Dennoch sind die monumentalen Bauteile keine Imitation, sondern ein künstlerisches Ready-made.

Mit der Gewissenhaftigkeit eines Archäologen dekonstruiert, interpretiert und zitiert Danh Vo die Geschichte auf eine ungewohnte Art und Weise. Die einzelnen Teile der von Frédéric Bartholdi entworfenen Statue, an deren Konstruktion auch der Ingenieur Gustave Eiffel beteiligt war, wurden von Europa nach Amerika verschifft und vor Ort zusammengesetzt. Indem er die Skulptur wieder in ihre Einzelteile auflöst geht der Künstler den Entstehungsweg zurück und setzt sich dabei mit Brüchen und Unbeständigkeiten auseinander.

Danh Vo zerlegt eine Ikone und lässt dabei die mit diesem nationalen Symbol verknüpften Werte wie Freiheit und Gerechtigkeit ebenfalls zerfallen. Gleichzeitig steht die zertrümmerte Skulptur für den Wandel in den internationalen Beziehungen und im Welthandel. Wie viele andere westliche Markenprodukte wurden auch die Elemente bei Shanghai gefertigt und in die Vereinigten Staaten "reimportiert". Die dekonstruierte Statue ist also ein Erzeugnis "Made in China", das Teil des interkontinentalen Warenflusses wird.

Im Gegensatz zu diesem symbolischen "Schwergewicht" stehen in der Ausstellung die Leichtigkeit und die Vergänglichkeit zeitgenössischer Ikonen und damit sind hier natürlich Abbilder der Konsumgesellschaft gemeint. Im Museion zeigt Danh Vo dann auch einfache Pappkartons, auf die der Künstler mit Goldfolie die Weltmarken Budweiser (Bier) und Evian (Mineralwasser) gedruckt hat. Obwohl diese Verpackungen durch diese Operation "wertvoll" geworden sind, steht deren Zerbrechlichkeit und Kurzlebigkeit in einem starken Kontrast zu den monumentalen Bruchstücken der Freiheitsstatue. Dass sich diese Werkserie auf Robert Rauschenbergs Assemblagen aus Pappe aus den frühen siebziger Jahren bezieht, liegt auf der Hand.

Schrift, Sprache und Titelgebung spielen im Werk von Danh Vo eine wichtige Rolle. Immer sind mehrere Interpretationsebenen möglich und das trifft auch auf die Ausstellung im Museion zu, für die der Künstler den Titel "Fabulous Muscles" gefunden hat. Diese "fabelhaften Muskeln" können sich auf die Körperlichkeit der Freiheitsstatue, ein bekanntes Album der Independent-Rock-Band Xiu Xiu oder – ziemlich respektlos – auf den Slang der Homosexuellen-Szene beziehen.

Danh Vo (Bà Ria, Vietnam, 1975) lebt und arbeitet in Berlin und New York. Er studierte an der Royal Academy of Fine Arts in Kopenhagen (1998 – 2002) und an der Städelschule in Frankfurt/Main (2002 – 2005). Zahlreiche Einzelausstellungen, darunter in der Accademia di Francia in Rom (2013), in der Renaissance Society in Chicago (2012), in der National Gallery in Kopenhagen, im Kunsthaus Bregenz (2012), in der Kunsthalle Friedericianum in Kassel (2011), in der Kunsthalle Basel (2009) und im Stedelijk Museum in Amsterdam (2008). Nel 2012 gewann Danh Vo den Hugo Boss Prize und stellte im März 2013 im Guggenheim Museum in New York aus.

Danh Vo - Fabulous Muscles
18. Mai bis 1. September 2013