Die internationale Gruppenausstellung im Haus der Elektronischen Künste (HEK) in Basel gewährt Einblicke in die jüngsten Entwicklungen von Blockchain und Web3 aus künstlerischer Perspektive. Mit dieser Ausstellung wendet sich das HEK an ein Publikum mit Interesse an künstlerischen Produktionen, die Blockchain-Technologien kreativ nutzen oder die Möglichkeiten der Smart Contracts erfindungsreich auszuschöpfen wissen. Die hier versammelten Werke laden nicht nur zum Nachdenken darüber ein, wie sich Politik und die ökonomischen Strukturen der Kryptowährungen gegenseitig beeinflussen, sondern die Besucher:innen finden sich mit einer Reihe weiterer Fragen konfrontiert; etwa wie diese Technologien unsere Online-Interaktionen bestimmen und welche Auswirkungen sie auf Wirtschaftssysteme und Gesellschaften generell haben.
Digitale Kunst erfreut sich zunehmender Beliebtheit, nicht zuletzt, da dank Blockchain-Technologien, und insbesondere seit der Einführung der NFTs (Non-Fungible Tokens) auch digitale Werke kommerziell verwertbar sind. Während das Phänomen manchen Künstler:innen die Gelegenheit gibt, von den Verkäufen ihrer Arbeiten finanziell zu profitieren, führt der NFT-Boom zu höchst kontroversen Debatten; so wird etwa die Umweltverträglichkeit der Blockchain-Technologie infrage gestellt oder mangelnde Vertragssicherheit befürchtet. Zudem regen sich Zweifel, ob die Blockchain-Technologien tatsächlich so dezentralisiert und demokratisch sind, wie allgemein behauptet wird. Schon bevor NFTs auf breiter Basis erfolgreich waren, setzten sich Künstler:innen mit digitalen Technologien auseinander und suchten die künstlerischen Möglichkeiten der Blockchain zu erforschen, und auch heute werden vielerorts künstlerische Arbeiten zu diesem Thema produziert.
In den unterschiedlichsten konzeptuellen Werken wird das kreative Potenzial der Blockchain auf originäre Weisen erforscht und die Parameter von Smart Contracts auf den Prüfstand gestellt. Seit mehreren Jahren etwa setzt sich Rhea Myers spielerisch mit Aspekten der Blockchain auseinander. Die von ihr konzipierten kollaborativen und konzeptuellen Arbeiten unterminieren nicht selten die spezifischen Logiken des Marktes oder offenbaren die Mechanismen, auf deren Basis Smart Contracts funktionieren. Amanda E. Metzger führt mithilfe des Sprachverarbeitungsmodells GPT-3 ein persönliches Tagebuch, "beta.metzger.love" (2023). Indem sie ihre Erinnerungen auf einer Blockchain speichert (in einem Prozess, der auch als "Minten" bezeichnet wird), regt sie zur Diskussion über zukünftige Anwendungsmöglichkeiten von künstlicher Intelligenz in Verbindung mit Blockchain-Technologien an. Sarah Friends "Lifeforms" (seit 2021 fortlaufend) sind NFTs, die nur dann überleben, wenn sie regelmäßig verkauft werden, und dies unabhängig davon, ob dieser Verkauf für die Besitzerin oder den Besitzer einen finanziellen Profit oder Verlust bedeutet. Ihre jüngste Installation versteht sich als eine Art Friedhof für die inzwischen aufgegebenen Lebensformen (en: Lifeforms).
Häufig wählen Künstler:innen einen kritischen Ansatz und stellen sich in ihren Werken den vielfältigen, höchst kontroversen Fragen, die die Technologie nach sich zieht. "Dotcom Séance" (2021-22), eine Kooperation zwischen Simon Denny und Guile Twardowksi, untersucht die Entwicklung des Web3 und seine ökonomischen Auswirkungen auf so ironische wie prägnante Art und Weise. Chloé Michels Installation "Proof of Faith" (2022), ein Mining Rig für die Monero-Blockchain, das mithilfe von vier Raspberry Pi-Computern funktioniert, manifestiert sich in Form eines Altars, vor dem die Besucher:innen beten oder meditieren können. Das von Nicolay Spesivtsev und Dzina Zhuk gegründeten Kollektiv eeefff entwickelte "Economic Orangery" (2021), ein Online-Game mit Rollenspiel und interaktiven Komponenten im Ausstellungsraum, das auf das Thema Dezentralisierung und die ökonomischen Folgen Bezug nimmt.
Eine Reihe von Künstler:innen erforschen das kreative Potenzial von Blockchain und Dezentralisierung nicht zuletzt, indem sie dezentralisierte autonome Organisationen (DAOs) zur Durchführung von Projekten gründen, die einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten wollen. Primavera De Filippi erschuf eine Reihe von interaktiven, Blockchain-basierten Skulpturen in der Form von mechanischen Pflanzen. Die so genannten Plantoids (seit 2018 fortlaufend) greifen auf finanzielle Ressourcen zurück, die von einer DAO verwaltet werden, und beauftragen einen nächsten Kunstschaffenden damit, einen Nachkommen nach vordefinierten Parametern zu kreieren, die deren Evolution konditionieren. "no1s1" (seit 2021 fortlaufend) ist ein von Dezentrum in Kooperation mit dem Universität Zürich Blockchain Center, der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Winterthur und der Digitalisierungsinitiative der Zürcher Hochschulen DIZH realisiertes Konzept. Dieses Projekt, ein von einer DAO und Smart Contracts autonom kontrolliertes Wohnmodul, ist das erste Beispiel eines Hauses, das sich selbst verwaltet und sich selbst gehört und zur gemeinschaftlichen Nutzung offensteht. Mit der Installation "Undergrown" (2023) konstruierte Lukas Truniger einen Hacker-Bausatz, um veraltete Krypto-Mining-Hardware für wissenschaftliche Forschungszwecke wiederaufzubereiten; die Betreuung obliegt auch dabei einer DAO. In Mario Klingemanns Projekt übernimmt "Botto" die Kunstproduktion; der dezentralisierte Bildgenerator, der auf eine Kombination von Softwaremodellen wie Stable Diffusion, VQGAN + CLIP oder GPT-3 zugreifen kann, wurde unter Zuhilfenahme von Millionen Kunstwerken und Beispielen der Weltliteratur wie auch realen Objekten und Personen trainiert. Botto ist imstande, autonom Kunstwerke zu generieren. Diese werden zunächst einer als DAO strukturierten Community unterbreitet, deren Mitglieder dann im nächsten Schritt entscheiden, welche Werke der Öffentlichkeit in Form von NFT zugänglich gemacht werden sollen.
Ein umfangreiches Vermittlungsprogramm begleitet die Ausstellung und bietet vielfältige Gelegenheit zur kritischen Auseinandersetzung mit Blockchain- und Web3-Technologien und ihren kreativen Anwendungsmöglichkeiten.
Exploring the Decentralized Web - Kunst auf der Blockchain
Bis 12. November 2023