Erwin Wurm. Fichte

Am 22. März 2015 wird im Kunstmuseum Wolfsburg die Ausstellung "Fichte" des österreichischen Bildhauers Erwin Wurm (*1954) eröffnet. Mit seinen skurril verformten Autos, Häusern und Figuren hat Wurm eine eigenwillige, humorvoll-abgründige wie philosophische Sicht auf Alltagsgegenstände und das Leben selbst populär gemacht. In Wolfsburg, der Stadt des Automobils, weist bereits vor der Eingangstür eine speziell geschaffene Skulptur auf die spektakuläre Schau hin, die die Besucher im Museum erwartet: Ein VW-Bulli als "fetten Würstelstand" (Erwin Wurm). Aus dem "Curry Bus" wird während der Ausstellung zur Mittagszeit die – natürlich originale – VW-Currywurst verkauft.

Die große Ausstellungshalle verwandelt Erwin Wurm in einen deutschen Tannenwald. Ein Wald ist ein symbolbeladenes Stück Natur: in seiner wilden Unberührtheit seit der Romantik ein Gegenentwurf zur menschlichen Zivilisation, als stadtnaher Forst kleinbürgerlicher Erholungsraum und im Märchen ein Ort, der den Helden vor Prüfungen stellt. Wer bei dem Titel "Fichte" auch an den gleichnamigen Philosophen des Deutschen Idealismus denkt, liegt im Sinne Wurms nicht falsch. Johann Gottlieb Fichte war einer der wichtigsten Inspiratoren der Romantik, Verfechter eines selbstbewussten Individualismus und Verfasser der heute umstrittenen "Reden an die deutsche Nation". In diesem heterogenen Bezugsrahmen sind die mehr als 50 haushohen echten Nordmanntannen zunächst eine bildhauerische Herausforderung, denn das Volumen der Bäume muss in ein spannungsreiches Verhältnis zum Ausstellungsraum gebracht werden. Zugleich sind sie Kontrastmittel und Dialogpartner für mehr als 40 weitere, vorwiegend neue Arbeiten, von denen Erwin Wurm 16 speziell für die Wolfsburger Ausstellung konzipiert hat.

In den letzten 20 Jahren hat Erwin Wurm ein konsistentes OEuvre geschaffen, das den Skulpturbegriff um interaktive und soziale Aspekte entscheidend erweitert. In den performativen oder plastischen Deformationen geht es in pointiert-lakonischer Weise neben der Befragung bildhauerischer Möglichkeiten auch immer um die Vergeblichkeit menschlicher Anstrengungen und den schmalen Grat zwischen High und Low, zwischen Norm und Abweichung. Der Titel "Fichte" weist - begrifflich zwischen banalem Nadelbaum und komplexer Philosophie changierend - auf die Fallhöhe hin, die Erwin Wurm für seine künstlerische Übertragung anstrebt. Im Kontrast von Natur und Zivilisation, Innen und Außen, Monumentalem und Flüchtigem thematisiert die gesamte Installation das Verhältnis des Ichs zur Welt. Hier stellt der Künstler die spätestens seit der Romantik gültigen Fragen nach Erkenntnis, Selbstbehauptung, Anpassung und Widerstand.

Mit der Ausstellung Erwin Wurm. Fichte knüpft das Kunstmuseum Wolfsburg an seine Reihe großer Künstlerprojekte an, wie z. B. "Douglas Gordon. Between Darkness and Light" (2007), "James Turrell. The Wolfsburg Project" (2009) oder zuletzt "Christian Boltanski. Bewegt" (2013). Zur Ausstellung erscheint Mitte April ein von Erwin Wurm gestaltetes Künstlerbuch mit Installationsfotos und einem Aufsatz des Philosophen Markus Gabriel bei aga press, Baden-Baden. Ca. 112 Seiten, EUR 19.-


Erwin Wurm. Fichte
22. März bis 13. September 2015