Erich Heckel - Der stille Expressionist

Die Städtische Galerie Villingen-Schwenningen zeigt 121 Aquarelle des großen "Brücke"-Künstlers und stellt erstmals die Person Erich Heckel (1883-1970) mehr in den Vordergrund. Die Ausstellung thematisiert zudem die engen Beziehungen Erich Heckels zur Schwenninger "Lovis-Presse", bei der er seine ersten Auflagendrucke nach dem II. Weltkrieg herstellen konnte.

"Wir lehnten die einschmeichelnde oder salonhafte, noch immer dem Akademismus verhaftete Geschmacksrichtung ab, die zweifellos bei den anderen noch vorhanden war, die in jener Zeit malten. Das war eine sehr gepflegte Malerei, aber das Gepflegte war nicht unser Ziel", so Erich Heckel. Er war der Mitbegründer der legendären Künstlerbewegung "Brücke" (1905 bis 1913) und gilt als deren Organisator und treibende Kraft – eine eher stille Kraft im Hintergrund. Den "Brücke"-Künstlern (Fritz Bleyl, Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Otto Mueller und kurze Zeit Max Pechstein) ging es um eine expressive Darstellung von Natur und Mensch, "das geschieht natürlich nicht in langsamer und bedachtsamer Art, sondern rasch und zupackend."

So betitelte Erich Heckel diese Arbeiten als "Bildaquarelle" und schuf diese als Studien für seine später gefertigten Öl-Bilder. Es war ihm unentbehrliches Ausdrucksmittel, diente oftmals der Stilfindung, bot aber ebenso die Möglichkeit des raschen Festhaltens des gerade Gesehenen oder des optischen Eindrucks schlechthin. Zum ersten Mal wird dieses Konvolut, das seine Frau Siddi Heckel 1970 dem Brücke Museum Berlin schenkte, komplett gezeigt. Die Werke sind zwischen 1909 und 1967 entstanden und spiegeln die gesamte Spannweite des künstlerischen Schaffens von Erich Heckel wider: von den expressionistischen Bildfindungen der "Brücke"-Zeit mit Studien an den Moritzburger Teichen, den Zirkus- und Kabarett-Motiven der 1920er Jahre oder den farbenleuchtenden Stillleben bis zu den Stadt-, Meer- und Berglandschaften der späteren Schaffensjahre. Zu allen 121 Aquarellen gibt es eine Gemäldefassung, die in dem begleitenden Katalogbuch gezeigt wird.

Bei den Vorbereitungen zur Ausstellung drängten sich immer mehr Fragen zur Person Erich Heckels auf. Wer war er, was trieb ihn an, wie sah seine persönliche Lebenswelt aus? Fragen, dessen Antworten beispielsweise bei seinem Künstlerkollegen Ernst-Ludwig Kirchner durch Tagebücher weitestgehend bekannt sind, bei Erich Heckel jedoch nie veröffentlicht wurden. Man weiß, dass er gerne verreiste, die Berge liebte und anscheinend Ausstellungseröffnungen wenig mochte. Um mehr über den Menschen Erich Heckel zu erfahren, entstand der Kontakt zum Nachlassverwalter, Hans Geissler, der im Hause Heckels in Hemmenhofen am Bodensee lebt. Vom ihm erhielt die Städtische Galerie Villingen-Schwenningen seltene Bild- und Tondokumente von und über Erich Heckel, die in der Ausstellung zu sehen und zu hören sein werden sowie Briefe und selbstgemalte Postkarten.

Gezeigt wird auch erstmals die Totenmaske Heckels, die der Künstlerkollege Roland Martin aus Tuttlingen gefertigt hat. Wer der Künstler und Mensch Erich Heckel war, wie aus einer Freundschaft eine ganze Künstlerbewegung wurde, wie die künstlerische Laufbahn nach Auflösen der ‚Brücke’ weiter verlief und was seine Professorenjahre in Karlsruhe und sein "Exil" am Bodensee für ihn bedeuteten - das soll in dieser Ausstellung erstmals in den Vordergrund gerückt werden. Eine eigens dafür recherchierte Biografie, geschrieben von dem Kunstkritiker Hans-Joachim Müller, wird zur Ausstellung erscheinen. Die Ausstellung thematisiert zudem die engen Beziehungen Erich Heckels zur Schwenninger "Lovis-Presse". Diese wurde 1947 von Ludwig Franz Georg (Lovis) Gremliza gegründet und bot in ihrem zweijährigen Wirken bis 1949 neben Erich Heckel auch den Künstlerkollegen Curth Georg Becker, Otto Dix, Werner Gothein, Walter Herzger, Erich Kuhn und Gertraud Rostosky Möglichkeiten zur künstlerischen Arbeit. So konnte Erich Heckel in der Neckarstadt Schwenningen nach den Schrecken des II. Weltkriegs – Heckel hatte Arbeits- und Ausstellungsverbot im Dritten Reich und 729 Werke von ihm wurden aus deutschen Museen beschlagnahmt – ab 1948 in der "Lovis-Presse" die ersten grafischen Arbeiten als Auflagendrucke veröffentlichen.

Die Beziehungen zu Gremliza waren sehr eng: Als Gremliza von dem Stuttgarter Kunsthändler Valentin japanische Holzschnitte erhielt, die dieser noch während des Krieges in Holland gekauft hatte, fuhr das Ehepaar Gremliza mit der Mappe nach Hemmenhofen am Bodensee. Diesen Schatz musste auch Erich Heckel sehen, zu dem die Gremlizas bereits seit Sommer 1946 gute Kontakte pflegte. Bis Mitternacht saßen dann die Ehepaare im einzigen beheizbaren kleinen Zimmer zusammen und beguckten Japanholzschnitte aus dem achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhundert, zwischendurch gestärkt von Siddi Heckels Polenta. Gremliza, eigentlich hauptberuflich Arzt, veranstaltete auch Ausstellungen, mit denen er einen Beitrag zum gesellschaftlichen Wiederaufbau leisten wollte und mit diesem Engagement den Künstlern, deren künstlerische Entwicklung den Blicken der Öffentlichkeit zwölf Jahre lang gewaltsam entzogen worden war, wieder eine Plattform vor der Öffentlichkeit zu geben. Die Auswahl ergab sich aus persönlichen Beziehungen und Empfehlungen. Der Kontakt zu Erich Heckel entstand über Gertraud Rostosky; Heckel vermittelte später einen Kontakt zu Otto Dix, der nicht weit von den Heckels wohnte.

Schon bald nach dem Krieg nahm Erich Heckel die Arbeit im Medium der Druckgraphik wieder auf. In den Jahren des Dritten Reichs hatte er nur noch die Jahresholzschnitte geschaffen, die er von 1930 bis 1968 zum Jahresende an seine Freunde verschickte. Obwohl die technischen Gegebenheiten zunächst mehr als provisorisch waren, begann er auch wieder Lithographien zu machen. Im März 1946 beschreibt er in einen Brief an Max Kaus das mühsame Leben im Hemmenhofener Sommerhaus am See: "Vorigen Winter mussten wir alles Wasser etwa 200 m weit ins Haus tragen, den Weg ständig von Schnee freischaufeln. Beim Holz habe ich einige Wochen erst die Bäume mit helfen fällen, zersägen, dann die Stücke nach Hause schaffen und zerkleinern. Im Frühjahr Grasland umgraben, eine mühsame Arbeit. Dies Jahr hatten wir eine Hilfe für Holz und Garten. Aber gemalt habe ich trotzdem noch kein Bild, da der Arbeitsraum so kalt bleibt, trotz verschwenderischen Heizens, jetzt im März sind nur 6 Grad darin, dass ich es nicht lange genug aushalte. Außer einigen Aquarellen habe ich etwas Lithographien gedruckt mit der Hand von Stücken Solnhofener Schiefers, die als Wegplatten in fremden Gärten lagen. Aber man kann wenig Abzüge zustande bringen und muß den Stein ziemlich rauh körnen, damit er nicht so rasch zu geht, das löst den Strich aber zu sehr auf. Ebenso muß ich mit dem glatten, saugenden Druckpapier sparsam umgehen." Da in Hemmenhofen keine Druckpresse zur Verfügung stand, machte Heckel zunächst ausschließlich Handabzüge, bis er von April 1948 bis 1949 die Gelegenheit der Schwenninger Druckpresse nutzte. Für fünf der neun Lithographien, die Heckel in der Lovis-Presse drucken ließ, benutzte er die besagten Schieferstücke.

In der Ausstellung sind alle Lithographien, die in Schwenningen entstanden sind, ebenfalls zu sehen. Es ist faszinierend zu beobachten, wie Heckel die ungewöhnlichen Formate der Steine für die Komposition nutzt und dabei ein und demselben Stein, unterschiedlich ausgerichtet, immer neue Bilder entlockt.

Publikationen Katalogbuch: 320 Seiten, 121 Farbtafeln, 13 Abb. in Farbe und s/w, 23 x 28,5 cm, gebunden. Deutsch, ca. EUR 39,90

Erich Heckel - Der stille Expressionist
24. Januar bis 25. April 2010