Einzigartig. Igor Levit und Richard Siegal beim Bregenzer Frühling

Einen fulminanten Abschluss fand das wichtigste zeitgenössische Tanzfestival in der Region mit der Uraufführung einer Choreografie von Richard Siegal mit seinem "Ballet of Difference" und dem hochkarätigen Pianisten Igor Levit, der Frederic Rzenwskis solidarische Polyfonie „The People United Will Never Be Defeated“ virtuos darbot. Ein Tanz- und Konzertabend, der die Freiheit des Individuums und den Widerstandsgeist einer ganzen Gesellschaft sowie den Kampf für eine gerechtere Zukunft feiert.

Zum 200-Jahre-Jubiläum der USA (1976) entstanden die 36 Variationen des amerikanischen Avantgarde-Komponisten über die chilenische Revolutionshymne von Sergio Ortega, die drei Jahre nach dem Militärputsch zu einem musikalischen Symbol des Widerstands gegen das Pinochet-Regime geworden war. Igor Levit hat das höchste Virtuosität fordernde Werk seines einstigen Lehrers Frederic Rzewski (1938-2021) immer wieder aufgeführt und 2016 auch aufgenommen. In neue Dimensionen wird die Musik jedoch mit der Anreicherung durch das "Ballet of Difference" – wir erinnern uns an XERROX VOL.2 beim Bregenzer Frühling 23 – geführt. Zur Reflexion und Öffnung gesellschaftspolitischer Resonanzräume ist ein Kommentar des russisch-deutschen Pianisten als Vorbereitung und an dieser Stelle als Vermittlung hilfreich: "Indem Rzewski seine 36 Variationen in sechs Gruppen zu sechs Variationen unterteilt, schafft er eine sehr suggestive Ordnung: Fünf Variationen einer Gruppe widmen sich jeweils einem anderen strukturellen Aspekt wie Rhythmus, Melodie oder Kontrapunkt. Die sechste fasst alle Aspekte zusammen. Erst die fünf Finger, dann die Faust!"

Auf der im halbrunden Schwung mit lichtgrauen Stores gerahmten Bühne steht nur der Konzertflügel. In der Abstraktion von hell-dunkel, durch Lichtfelder und -punkte bewegen sich die Tänzerinnen und Tänzer in allen die Grenzen der Körperlichkeit auslotenden faszinierenden Formationen höchster Präzision. Atemberaubend! Richard Siegal hat den klassischen Tanz revolutioniert. Seine Companie, das mehrfach preisgekrönte "Ballet of Difference", vereint großartige Künstlerinnen und Künstler aus der ganzen Welt, feiert die unterschiedlichen Kulturen, ästhetischen Prägungen, Queerness und "versteht sich als freudvoller Ausdruck einer multikulturellen Gegenwart und als zukunftsgewandte Alternative zu den etablierten Institutionen"; der Zusatz "am Schauspiel Köln" ist jedoch ab kommender Saison leider Geschichte.

"If I am not for myself, who will be for me? If I am only for myself, what am I? And if not now, when?" wird Richard Siegal zu dieser Produktion "The People United" zitiert. Beeindruckend, berührend, einzigartig war dieser Abend. Never ending standing ovation!

Igor Levit // Richard Siegal
36 Piano Variations on 
The People United Will never Be Defeated

Choreografie und Bühne:  Richard Siegal
Musik von Frederic Rzewski, Sergio Ortega und Eduardo Carrasco
Licht:  Matthias Singer
Kostüme:  Flora Miranda
Dramaturgie:  Evan Supple
Technische Produktionsleitung: Niko Moddenborg
Tanz: Marco Arena, Martina Chavez, Margarida De Abreu Neto, Livia Gil, Karin Honda, Roberta Inghilterra, Pier-Loup Lacour, Sean Lammer, Nicolás Martínez, Benedetta Musso, Eoin Robinson, Ian Sanford

Eine Kooperation mit dem Schauspiel Köln