Das Gräberfeld von Kopilo in Zentralbosnien ist eine der bedeutendsten Funde der letzten Jahrzehnte am Balkan. Entdeckt von Archäologinnen und Archäologen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und aus Bosnien-Herzegowina belegt es, dass die Bestattungssitten in der Bronze- und Eisenzeit in Europa uneinheitlich waren. Neben der Verbrennung von Toten wurde auch weiterhin Körperbestattung praktiziert. Neueste Untersuchungen der Gräber deuten auf eine hohe Sterblichkeitsrate in der Prähistorie hin und brachten völlig neue Schmuckformen als Grabbeigaben zutage.
In der archäologischen Fachwelt ist die Spätbronze- und Eisenzeit (ca. 1300‒100 v.Chr.) in Bosnien-Herzegowina vor allem durch eindrucksvolle Metallfunde, wie etwa dem heute im Naturhistorischen Museum in Wien ausgestellten Vogelwagen von Glasinac, bekannt. Sie entstammen einer Kultur, die das heutige Bosnien mit einem dichten Netzwerk an gut befestigten Höhensiedlungen überzog. Das Wissen über die Bestattungssitten dieser Bevölkerungsgruppe war bisher jedoch nur lückenhaft.
Umso bedeutender sind die Ergebnisse eines Forschungsteams des Österreichischen Archäologischen Instituts der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und aus Bosnien-Herzegowina am spätbronze- und eisenzeitlichen Fundplatz Kopilo, der rund 70 Kilometer westlich von Sarajevo liegt. Denn: Während damals in dem meisten Teilen Europas die Toten verbrannt wurde, gehörte der westliche Balkan zu jenen Regionen, in denen weiterhin die Bestattung von Körpern praktiziert wurde. Anhand der Grabfunde lassen sich neue Erkenntnisse zur Lebensweise der damaligen Menschen gewinnen. 2021 gelang es dem österreichisch-bosnischen Grabungsteam, die Nekropole der Höhensiedlung von Kopilo zu lokalisieren und die ersten Gräber freizulegen. Im Jahr 2022 konnte die gesamte Terrasse, auf der sich das Gräberfeld befand, systematisch und großflächig erforscht und dokumentiert werden.
Kommunikationsnetzwerke bis zu unteren Donau und nach Mazedonien
Bislang völlig unbekannt waren Details zur Konstruktion der Gräber: Sie wurden aus Stein gebaut, oft mit einem äußeren Ring umfasst und enthalten je zwei bis fünf Gräber. Das Gräberfeld war vom 11. bis ins 5. Jh. v. Chr. kontinuierlich belegt. Insgesamt entdeckten die Archäologinnen und Archäologen 46 Gräber mit über 50 Individuen aller Altersstufen. Alle Toten wurden in einer seitlichen Lage mit leicht angewinkelten Beinen und Armen bestattet in der sogenannten „Schlafposition“. Neben dem Kopf wurde oft ein kleines Gefäß platziert, das für das Jenseits gedacht war.
Die ersten anthropologischen Analysen zeigen, dass insbesondere Kinder überproportional vertreten sind, was auf eine hohe Sterblichkeitsrate hindeutet. In den Gräbern fanden sich Beigaben, wie Gefäße, Schmuck aus Bronze, Eisenwaffen und Glasperlen. Frauengräber wiesen deutlich mehr Grabbeigaben mit verschiedenen Schmuckvarianten auf. Dazu zählen auch Metallfunde, die Kommunikation mit entfernteren Gebieten an der unteren Donau und Mazedonien belegen. Für einige lokale Schmuckformen sind bisher keine Vergleiche bekannt, daher werden sie als neue Typen in die Fachliteratur eingeführt. Der Fund liefert auch Einsichten zum ersten Auftreten eiserner Objekte: Sie beweisen eine entwickelte Eisenmetallurgie, die bereits im 9. und 8. Jh. v Chr. beginnt.
Molekulare Skelettanalyse soll Migrationsprozesse klären
Einen enormen Erkenntnisgewinn erhoffen sich die Forschenden auch aus der molekularen Analyse alter Skelette. Gemeinsam mit internationalen Kooperationspartnern werden anhand von Untersuchungen alter DNA und mithilfe von Isotopenanalysen unter anderem Fragen zu Verwandtschaftsbeziehungen, Ernährung und Mobilität auf individueller Ebene beantwortet werden. Spannend wird dabei insbesondere die Antwort auf die Frage, ob Menschen aus anderen Regionen damals nach Kopilo migrierten und schließlich dort bestattet wurden.