Eine Gelegenheit, den kunsthistorischen Kanon zu hinterfragen, bietet sich in der von der Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen kuratierten Ausstellung zu den Künstlerinnen in der Schweiz. Der Fokus liegt dabei auf den 1970er bis 1990er Jahren. In fünf thematischen Erzählungen wird das Verhältnis von visueller Kunst und sexueller Differenz in der Moderne und Postmoderne beleuchtet. Die Ausstellung schafft eine bislang selten gezeigte Übersicht über das Schaffen unterschiedlichster Künstlerinnen in der Schweiz. Gezeigt wird ein Querschnitt, was Künstlerinnen zwischen den 1970er und 1990er Jahren thematisch und ästhetisch-formal beschäftigt hat.
Warum dieser Fokus auf Künstlerinnen? In der Schweiz sind in den letzten Jahren grosse Einzelausstellungen zu sehen gewesen: Lee Krasner im Zentrum Paul Klee, Sophie Taeuber-Arp (nach Aarau) auch im Kunstmuseum Basel, Meret Oppenheim und Heidi Bucher im Kunstmuseum Bern. Es liegt auf der Hand, sich jetzt einen Überblick zu verschaffen, was zwischen 1970 und 2000 die Anliegen der Schweizer Künstlerinnen waren. Nicht, um die damals brisante Frage nach einem spezifisch weiblichen Blick nochmals aufzugreifen; es geht darum, mit einem vom feministischen Diskurs um sexuelle Differenz geschärften Blick auf diese Kunst zurückzublicken.
Entscheidend ist auch ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, an was in unserer Kultur erinnert wird und an was nicht. Das lässt sich mit dem Blick der Gegenwart auf die Präsenz von Künstlerinnen im ausgehenden 20. Jahrhundert exemplarisch zeigen. In Anbetracht dessen, dass damals Künstlerinnen zum ersten Mal an verschiedenen Orten auftraten und in hohem Masse rezipiert wurden, bleibt offen, warum sie in den folgenden beiden Jahrzehnten so schnell wieder ausgeblendet wurden. Gleichzeitig bringt die Gastkuratorin Elisabeth Bronfen die spezifisch Schweizerische Postmoderne ans Licht; hier zeigt sich ein ganz eigenes Erbe der Moderne und der Nachkriegszeit.
Gegliedert ist die Ausstellung in fünf Schwerpunkte, welche die Kunst von Frauen vorwiegend auf ihren Einfluss auf die jeweiligen Kunstströmungen hin untersucht und in einem zweiten Schritt auch eine Geschichte der Kunst von Frauen fortschreibt.
"Ausgestellt": Verwandelte Körperbilder
Die Geschichte der weiblichen Aktmalerei und figurativer Frauendarstellungen war über mehrere Jahrhunderte hinweg fremdbestimmt. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper setzt ab den 1970er-Jahren in Formen des Action Painting sowie durch die körperbetonte Performance Art ein. Auffallend ist, dass viele Künstlerinnen das intime Medium der Zeichnung oder die Momentaufnahme in Fotografien wählen, um Körperbilder darzustellen. Gabrielle Grässle (1956), Silvia Bächli (1956), Hannah Villiger (1951–1997) und Katrin Freisager (*1960) sind nur einige Beispiele dafür.
"Frauenzimmer": Das Interieur als intimer Schauplatz
Bereits bevor politische Aktivistinnen in der zweiten Welle der Frauenbewegung die Forderung nach der Aufhebung der Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem propagierten, trugen Künstlerinnen wie Ilse Weber (1908–1984) oder Garance Grenacher (1943) ihr Privat- und Atelierleben in öffentliche Ausstellungen. Ihnen folgten Künstlerinnen wie Leiko Ikemura (1951), Ina Barfuss (1949) oder auch "Manon" (*1946).
"Das versehrte Gesicht": Selbstbildnisse anderer Art
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird die Vorstellung, wie ein Gesicht im Bild eingefangen werden kann problematisiert. Das zeigt sich in den kubistisch-futuristischen Portraits und Darstellungen von Alltagsszenen der Westschweizerin Alice Bailly (1872–1938). Das Portrait dient anschliessend immer öfter einer Dekonstruktion dessen, was als typisch weibliche Selbstdarstellung gelten soll. Auch Klaudia Schifferle (1958), Marianne Kirchhofer (1947) und Miriam Cahn (*1949) brechen überholte Geschlechterkonventionen auf.
"Pop als Haltung": Eigenwillige Aneignungen der Alltagskultur
Eine besondere Form dieser Dekonstruktion des Weiblichen wird in der Pop Art vollzogen. Die kritische, in Farbe und Form lustvolle Betrachtung der alltäglichen Konsumformen, lässt viele Künstlerinnen auf humorvolle Weise mit Stereotypen brechen. Doris Stauffer (1934–2017) und Donatella Maranta (*1959) richten den Blick auf Haushaltsgegenstände; Vereinbarkeit von Familie und Künstlerinnenberuf sowie Kritik am patriarchalen System schwingen mit. Die ironischen Selbstdarstellungen von Susann Walder (1959– 2015) zielen auf das Objekthafte des weiblichen Rollenbilds im kapitalistischen Wertsystem.
"Ver-Rücktes Sehen»: Witz und visuelle Experimente
Ungewohnte Seherlebnisse entstehen durch gegensätzliche Bildanordnungen oder bewusste Überlagerungen. Störungen der gewohnten Bildwahrnehmung in Werken von Sophie Taeuber-Arp (1889–1943), Meret Oppenheim (1913–1985), Nanne Meyer (1953) und Olivia Etter (1956) führen den Betrachtenden vor Augen, wie eine spielerische Transformation des Bekannten in den Alltag überführt werden kann.
Der Titel der Ausstellung "Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau…" lehnt sich an das Gedicht "Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose" der Amerikanischen Schriftstellerin, Verlegerin und Kunstsammlerin Gertrude Stein an. Er versteht sich auch als eine Lesart des Frau-Seins, die oftmals erst in der Summe ihrer Wiederholung vollends ersichtlich wird, ohne je auf eine einzige Essenz festgelegt zu werden.
Der Zeitraum von 1970 bis 2000 ermöglicht auch eine Art Spurensicherung von Vorläuferinnen aus früheren Dekaden der Moderne. Zusätzlich wird sichtbar, wie konsequent das Aargauer Kunsthaus in ihrer Ausstellungs- und Sammlungsgeschichte sich generell Künstlerinnen gewidmet hat.
Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau …
Eine Geschichte der Künstlerinnen
Kuratiert von Elisabeth Bronfen
27. August bis 15. Januar 2023