Als Glanzzeit des deutschen Kinos gilt die Weimarer Republik. Untrennbar verbunden ist sie mit Regisseuren wie Fritz Lang, F. W. Murnau und G. W. Pabst, wenig bekannt ist dagegen des 1880 in Wien geborenen Joe May, der sich auf Großproduktionen und Serien spezialisierte. Das Filmarchiv Austria widmet dem 1954 in Los Angeles verstorbenen Regisseur eine Retrospektive, das Filmpodium Zürich blickt im April auf Mays Arbeit in der frühen Tonfilmzeit.
Aus wohlhabendem Hause stammend studierte Julius Otto Mandl an der Handelshochschule Leipzig und schloss 1905 ein Studium an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin ab. Schon drei Jahre zuvor hatte er die Operetten-Sängerin Hermine Pfleger geheiratet, nach deren Künstlername Mia May sich Mandl in Joe May umbenannte.
1911 drehte er als Zwischenspiel einer Revue seiner Frau mit "Die Fahrt nach Hamburg" seinen ersten Film. Zwei Serien um die Detektive Stuart Webbs und Joe Deebs folgten in den Jahren 1913 bis 1916, die schon Mays Vorliebe fürs Unterhaltungskino zeigten. Spannung und Spektakel wollte er bieten und gründete dazu 1916 auch die May-Film GmbH.
In den letzten Monaten des Ersten Weltkriegs drehte er mit "Veritas vincit" (1916) den ersten deutschen Monumentalfilm. In drei Geschichten, die im antiken Rom, im Mittelalter und unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs spielen, erzählt May darin vom Sieg der Wahrheit über die Lüge. Im Gegensatz zu Griffith, der in dem drei Jahr zuvor entstandenen "Intolerance" (1916) mehrere Geschichten durch Parallelmontage verknüpfte, erzählt May seine Geschichten hintereinander und ließ auch nur wenige Bauten errichten, sondern verwendete vorhandene Gebäude wie die alte Nationalgalerie in Berlin.
Monumentale Bauten kennzeichnen dagegen den achtteiligen "Die Herrin der Welt" (1919), der auf die exotische Kulisse Chinas setzt und eine verwickelte Abenteuer- und Detektivgeschichte erzählt. Nach Indien entführte May anschließend den Zuschauer mit dem zweiteiligen "Das indische Grabmal" (1921), den ursprünglich Fritz Lang inszenieren sollte.
May hatte Lang ins Filmgeschäft gebracht, ihn entdeckt und gefördert. Wie schon bei mehreren Filmen Mays zuvor hatte Lang zusammen mit seiner damaligen Frau Thea von Harbou auch das Drehbuch für "Das indische Grabmal" geschrieben, doch die Regie über nahm dann May. Wie sehr dieses Projekt aber Lang interessierte, zeigt sich wohl darin, dass er fast 40 Jahre später mit "Der Tiger von Eschnapur" und "Das indische Grabmal" ein Remake dieses exotischen Abenteuerfilms drehte.
Mit dem vierteiligen Krimidrama "Tragödie der Liebe" (1922/23) wandte sich May vom Monumentalfilm ab und landete damit einen Erfolg nicht nur beim Publikum, sondern auch bei der Kritik. Begeistert schrieb Kurt Tucholsky: "Nach den Kolossal-Monstre-Gala-Filmen dieses Regisseurs ist nicht ganz klar, ob er eigentlich weiß, wie gut dieser Film hier ist. Diesem Besessenen, der keine Augen, sondern offenbar zwei Objektive im Kopf hat, und der Zelluloid ausschwitzt, diesem Fanatiker des Films ist da eine derartige Fülle an lustigen, witzigen, bunten und belangreichen Einzelheiten eingefallen, dass man denken könnte, er habe sie alle nur so aus dem Kasten geschleudert."
Die Inflation stürzte aber auch die May-Film-AG in eine Krise und mehrere Produktionen mussten abgesagt werden. 1927 musste seine Firma geschlossen, die Ateliers in Weißensee verkauft werden. May wandte sich nun realistischen – und damit billigeren - Kammerspielen zu. In "Heimkehr" (1928) thematisierte er die Situation von Kriegsheimkehrern, während er in "Asphalt" (1928) von einem Polizisten erzählte, der von einer Diebin zu einem Mord verleitet wird.
Nachdem er sich im Zuge einer Reise nach Hollywood mit dem Tonfilm vertraut gemacht hatte, drehte er bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten noch die Komödien "Ihre Majestät die Liebe" (1930) und "…und das ist die Hauptsache!?" (1931). Wie viele deutsche Juden emigrierte auch May 1933 in die USA, der Einstieg in Hollywood war für ihn aber, einerseits da er schon über 50 war, andererseits da seine Lust an kostspieligen Produktionen auch in Übersee bekannt war, schwieriger.
Seine Flops mit "Music in the Air" (1934) und dem Gerichtsdrama "Confession" (1934), einem Remake von Willi Forsts "Mazurka" (1935), verschlechterten seine Position noch. Statt großen Filmen musste er nun kleine B-Filme für die Universal Studios drehen, doch gerade hier gelang ihm zumindest mit "The Invisible Man Returns" (1939/40) noch ein Klassiker.
Nach der Komödie "Johnny Doesn´t Live Here Anymore" (1944) blieben die Aufträge aber aus, auch ein auf Wiener Küche spezialisiertes Restaurant, das Joe und Mia May 1949 in Los Angeles eröffneten, musste schon nach wenigen Wochen wegen mangelnden Erfolgs wieder geschlossen werden. Völlig verarmt starb dieser Meister des frühen Unterhaltungskinos am 29. April 1954 in Hollywood.
Literatur zu Joe May: Meister des Weimarer Kinos. Joe May und das wandernde Bild, Edition Text + Kritik, München 2018, 168 S., 25 €
Trailer zu "Asphalt"