Ein Außenseiter als Liebling der Massen: Chaplin und sein Tramp

Mit seinem Tramp schuf Charlie Chaplin eine unverwechselbare Filmfigur, einen Außenseiter, der sich anders als andere Stummfilmkomiker weniger gegen die Tücken der Objekte als vielmehr gegen eine feindliche Gesellschaft durchsetzen musste. – Das Österreichische Filmmuseum zeigt noch bis 9. Januar eine Retrospektive von Chaplins Werk und Arte widmet der Kinolegende einen Programmschwerpunkt.

Melone, Stöckchen, Schnauz, viel zu große Schuhe und Hose – zur wohl bekanntesten Leinwandfigur machten diese Attribute Charlie Chaplins Tramp. Geprägt dürfte dieser Charakter auch von der eigenen Biographie des am 16. April 1899 in London geborenen Komikers sein. Als Sohn einer Entertainerfamilie hatte er alles andere als eine leichte Kindheit. Die Eltern ließen sich kurz nach seiner Geburt scheiden, der Vater starb früh an Alkoholsucht, die Mutter litt unter psychischen Problemen, sodass Charles und sein älterer Bruder Sidney auf der Straße und im Waisenhaus landeten. Doch schon mit acht Jahren wurde Charlie Mitglied einer Kindertanztruppe, neun Jahre später wurden er und Sidney vom Pantomimen Fred Karno für seine Music-Hall-Company engagiert.

Während der zweiten Amerikatournee dieser Truppe wurde Mack Sennett auf Chaplin aufmerksam und lud ihn nach Hollywood ein. Vom Schauspieler entwickelte er sich dort rasch zum Regisseur, löste sich von den Slapstick-Komödien, drehte zahlreiche Kurzfilme, in denen er die Figur des "Tramp" immer mehr ausformulierte, gründete 1919 mit Mary Pickford, D. W. Griffith und Douglas Fairbanks das Studio United Artists und drehte 1920 mit "The Kid" seinen ersten Langfilm. Hart an der Grenze zur Sentimentalität schrammt diese Geschichte um einen Landstreicher, der sich liebevoll um ein ausgesetztes Baby kümmert vorbei, gleichzeitig hat Chaplin gerade durch die Menschlichkeit und den Gefühlsreichtum ein Millionenpublikum erreicht.

Problemlos übertragen konnte er diesen Tramp vom amerikanischen Großstadtmilieu in "The Gold Rush" (1924) ins winterliche Alaska, wo er als Goldsucher mehrmals dem Hungertod nahe ist. Unvergesslich ist der Brötchentanz, die an einer Felskante schwankende Hütte oder das Festessen aus Schnürsenkeln als Spaghetti und Schuhsohle als Schnitzel-Ersatz. Mit Akribie rekonstruierte Chaplin für diesen Film die Welt des Alaska-Goldrausches von 1898 und orientierte sich auch bei der Story an einer zeitgenössischen Zeitungsmeldung.

Immer – und auch das hat freilich zu Chaplins Publikumserfolg wesentlich beigetragen – geht es in seinen Filmen aber auch um ein unerreichbares oder zumindest unerreichbar scheinendes Mädchen. Manchmal gönnt Chaplin dem Tramp dann ein traumhaftes Happy-End wie in "The Gold Rush", in anderen Filmen wie in "The Circus" (1926/27) bleibt der Protagonist allein zurück.

Nicht über die Montage wie ein Eisenstein in der Sowjetunion und auch nicht über Licht und Schatten sowie Kameraperspektiven wie Murnau in Deutschland inszenierte Chaplin. Fast theaterhaft vor der Kamera, nicht mit ihr und nicht im Schneideraum, entstanden seine Filme Chaplins. Ihre Meisterschaft und ihren Charme gewannen die Szenen erst durch ihre Entwicklung während der Dreharbeiten und zahlreiche Wiederholungen.

Dem Tonfilm stand er lange skeptisch gegenüber. Vergaßen andere Regisseure in den Anfängen der Tonfilmzeit ob der Freude an den Dialogen auf die filmische Gestaltung ließ Chaplin in "City Lights" (1931) Honoratioren bei der Einweihung eines Denkmals nur unverständliches Kauderwelsch reden.

Politischer wurden seine Filme in den 30er Jahren. "Modern Times" (1936) gehört immer noch zu den brillantesten Abrechnungen mit der den Menschen deformierenden Fließbandarbeit und "The Great Dictator" (1940) ist immer noch die vielleicht treffsicherste und genauste Abrechnung mit Hitler. Erstmals wird hier in einem Chaplin-Film gesprochen. Nur unverständliches Kauderwelsch sind aber die von Diktator Anton Hynkel gehaltenen Reden, dafür plädiert Hynkels Doppelgänger, ein jüdischer Friseur, in dem eine Weiterentwicklung des Tramp zu sehen ist, in einer großen Schlussrede ebenso pathetisch wie klar und unmissverständlich für Versöhnung und Menschlichkeit.

Wurde "The Great Dictator" noch zwiespältig aufgenommen, so stieß "Monsieur Verdoux" (1947), in dem Chaplin einen Frauenmörder seine Verbrechen den Massenmorden des Zweiten Weltkriegs gegenüberstellen ließ, weitgehend auf Ablehnung. In den USA wurde Chaplin in dieser Zeit nicht nur wegen seines Privatlebens mit vier Ehen, Scheidungsprozessen und Affären, sondern mehr noch wegen seiner als kommunistisch eingestuften politischen Einstellung heftig angegriffen. Während einer Europa-Tournee 1952 wurde auf Betreiben von Senator McCarthy und FBI-Chef J. Edgar Hoover beschlossen, ihm die Rückkehr in die USA zu verbieten.

In England entstanden "A King in New York" (1957), in dem Chaplin sehr persönlich mit den USA abrechnete, sowie das starbesetzte (Marlon Brando, Sophia Loren) Alterswerk "A Countess from Hongkong" (1967). Als Wohnort wählte er nach der Ausweisung aus den USA das schweizerische Vevey am Genfersee, kehrte aber zur Verleihung eines Ehrenoscars in den 1970er Jahren doch noch einmal in die USA zurück. Von der Queen wurde er 1975 zum Sir erhoben und verstarb am 25. Dezember 1977 im Alter von 88 Jahren.

Charlie Chaplin-Reihe auf arte:

Montag, 21.12. 2009, 21.00-22.25 (Wh.: 31.12. 2009, 14.05; 8.1.2010, 14.00; 14.1.2010, 14.45)
Moderne Zeiten (Modern Times)
USA 1936

Mittwoch, 23.12. 2009, 15.15 (VPS: 15.14 Uhr) -17.25 (Wh.: 31.12.2009, 15.30 Uhr (VPS: 15.35 Uhr); 11.1.2010, 14.45)
Der große Diktator (The Great Dictator)
USA 1940

Donnerstag, 24.12. 2009, 21.00-22.25 (Wh.: 1.1. 2010, 14.10; 7.1.2010, 15.25 Uhr
Lichter der Großstadt (City Lights)
USA 1931

Montag, 28.12. 2009, 21.00-23.15 (Wh.: 5.1.2010, 15.05
Rampenlicht (Lime Light)
USA 1952

Dienstag, 29.12. 2009, 0.50-2.15
Die Nächte einer schönen Frau (A Woman of Paris)
USA 1923

Donnerstag, 31.12. 2009, 20.50-22.00 (Wh.: 1.1.2010, 15.35; 7.1.2010, 14.15
Goldrausch (The Gold Rush)
USA 1924

Donnerstag, 31.12. 2009, 22.00-22.55 (Wh.: 1.1. 2010, 16.50; 5.1.2010, 14.10
The Kid
USA 1921