Absolut beliebig wohin es gehen sollte. Ich schmökerte auf der architektonisch kuratierten Website urlaubsarchitektur.de und es sprang mich förmlich das Atelier in Palermo an. Warum nicht! Gebucht. Geflogen. Mitten in der Altstadt des Kalsa-Viertels – dort lebten die reichsten und einflussreichsten Adligen der Stadt – eröffneten sich im renovierten Palazzo San Gabriele Räumlichkeiten, die alle Vorstellungen über ein erhabenes Lebens- und Wohngefühl erfüllen.
Stefan Koppelkamm, Künstler, Grafik-Designer und Fotograf, hat sich hier sein Atelier eingerichtet, wenn er es nicht nutzt, kann es gemietet werden. Mit zwei Architektinnen und sehr tüchtigen lokalen Handwerkern wurden die vorgefundenen kleinen Zimmer, deren Gewölbedecken und Zwischenwände nach einem Erdbebenschaden aber schon herausgerissen waren, in eine großzügige Atelierwohnung (150 m2) verwandelt.
Ein schönes Konzept: Durch den vorgeschobenen Eingangsspalt betritt man den bis ins Dachgebälk offenen Hauptraum (64 m2); hineingestellt, die niedrigere Wandscheibe – oben Galeriebrüstung des Computerarbeitsplatzes, unten Abgrenzung zu einem Schlafzimmer. Mit großen Balkonfenstern lichtdurchflutet bleibt das beeindruckende Atelier bis in den Küche-Essbereich durchlässig; dort angegliedert ist das zweite Schlafzimmer mit Bad. Sichtbar gelassen werden die ursprüngliche Raumhöhe durch das unverputzte Tuffsteinmauerwerk darüber; der Abdruck einer Treppe, die wohl aufs Dach führte; ein gemauerter Türsturz der nun als Garderobe dient.
Erst am nächsten Morgen bemerkte ich das prominent gehängte Bild, auf dem ich schon am Abend im Fotoband des Hausherrn sofort die Piazza Garraffello identifizierte. Daniel Büchel erzählte mir nämlich früher einmal so spannend von den aufsehenerregenden, neun Jahre dauernden Interventionen des Uwe Jäntsch auf diesem Platz. Alles Interessante ist nicht mehr als 300 Meter vom Atelier entfernt: der Palazzo Abatellis, von Carlo Scarpa renoviert und heute die Galleria Regionale della Sicilia gar in derselben Via Alloro; die Uferpromenade ein paar Schritte weiter; und eben die Vucciria, der älteste Markt Palermos, mit der Piazza Garraffello.
Lokalaugenschein. Der Palazzo mit der ehemals strahlenden Aufschrift "Uwe ti ama" (Uwe liebt dich) ist nicht mehr wiederzuerkennen; der historische Brunnen, den Uwe feinsäuberlich restauriert hatte, ist jetzt eingegittert, aber zum Wasserholen in Verwendung. Der Skandal, den er provozierte, als er fett "si vende" mit rotem Lack draufpinselte (19. Mai 2014), ist nur mehr als Aufreger-Schlagzeile in den italienischen Zeitungen nachzulesen. Das richtige Lösungsmittel verriet er zwar anschließend, die Wahrnehmung und Wirkung der Piazza Garraffello veränderte sich aber nachhaltig. Während ich dastand und staunte, kam ein italienischer Guide mit einer kleinen Gruppe – und erzählt tatsächlich die Geschichte der Kunst-Aktionen des Uwe Jäntsch (austriaco). Diese haben sogar Eingang ins Repertoire der touristischen Hotspots gefunden!
Also darüber musste auch ich unbedingt mehr erfahren und traf Uwe Jäntsch gleich nach meiner Rückkehr in Daniels "Bau-Juwel aus den 1960-er Jahren" in Vorarlberg. Aber das wird eine eigene Geschichte ...
Atelier in Palermo
Palazzo San Gabriele, in der Via Alloro
Architektinnen: Dörthe Weigelt, Berlin; Claudia La Franca, Palermo
Innendesign: Stefan Koppelkamm, Berlin
Fertigstellung: 2020Stefan Koppelkamm – Palermo. Lavori in Corso
Hatje Cantz, Berlin 2017
"Ist es überhaupt möglich Palermo zu porträtieren, ohne in die Falle des Pittoresken zu tappen?" Die Antwort gibt Fotograf Stefan Koppelkamm (*1952 Saarbrücken) in seiner Bildserie Lavori in Corso: Während seiner Gastdozentur an der Accademia di Belle Arti di Palermo dokumentierte er mit der Kamera sein Palermo.Uwe Jäntsch – Closer to God
1999–2018 Palermo against Palermo
BANCOMAT NO ISBN 11
Copies: 1000