Diese Sonne strahlt immer

Als Sujet für die Einladungskarte zu "Diese Sonne strahlt immer" in der Secession wählt der belgische Künstler David Claerbout einen relativ unspektakulär scheinenden Schnappschuss: Rodins "Eva" in der Eingangshalle der Bauhaus-Universität Weimar, aufgenommen im blendenden Gegenlicht. Diese Fotografie, die neben sieben filmischen Arbeiten im Hauptraum zu sehen ist, steht emblematisch für die erste Einzelausstellung von David Claerbout in Österreich: Mittels des Kunstlichts lässt er das in seinen Arbeiten thematisch tragende Sonnenlicht strahlen.

Der völlig abgedunkelte Hauptraum ist lediglich durch das Licht der Videoprojektionen beleuchtet, das im silbernen Boden reflektiert und so nochmals zurückstrahlt. "Meine Faszination galt nicht so sehr der Intensität des Sonnenlichts, sondern der Tatsache, dass ein relativ schwaches Projektorlicht die Erinnerung an eine Lichtintensität vermitteln kann, die das Auge schmerzt. Dieses einfache Phänomen beweist, dass wir teilweise über unsere Erinnerung wahrnehmen." (David Claerbout)

Dennoch referiert der Titel auf eine Werbung für Infrarot-Solarien aus den 1930er Jahren, die der Künstler in Edvard Munchs Archiv gefunden hat. Die Annonce steht für den Triumph des elektrischen Lichts über das natürliche. Ersteres ist jederzeit verfügbar, und nicht zuletzt ist es die technische Basis für Claerbouts künstlerische Arbeit: Das Licht als Träger für Belichtung und Projektion. Zum Protagonisten der in der Secession gezeigten Videoprojektionen macht der Künstler allerdings das Tageslicht, als Indikator für Zeit.

Heute, so David Claerbout, wären die einst gegensätzlichen Charakteristika von Film (= Bewegung) und Fotografie (= der eingefrorene Moment) nicht mehr so klar. Und das ist der Moment, an dem er seine eigene Philosophie erarbeite. David Claerbout manipuliert Zeit, indem er die Grundlagen der Medien Fotografie und Film für beides einsetzt: So animiert er etwa Fotografien digital und nimmt ihnen damit die Statik – verwiesen sei hier u. a. auf die sehr bekannte Arbeit Kindergarten Sant’Elia, 1932 aus dem Jahr 1998 und das Internetprojekt Present (2000).

Oder aber er entzieht dem Film das Moment der Bewegung: Durch die Verlangsamung von menschlichen Bewegungen im Gegensatz zur Beschleunigung eines Tageslichtablaufs in "Long Goodbye" (2007), mittels der ins Unerträgliche gesteigerten Wiederholung derselben Sequenz im Bogen zwischen Sonneauf- und -untergang in "Bordeaux Piece" (2004), durch die filmische Aneinanderreihung von Fotos, die dieselbe Szene wieder und wieder, allerdings aus einer anderen Perspektive zeigen, wie etwa in "The Quiet Shore" (2011) und "The Algiers’ Sections of A Happy Moment" (2008), beides Arbeiten, in der eine "Animation der Zeit, im Sinne der Belebung" stattfindet.

Wer sich einen stringenten Handlungsablauf erwartet, wird enttäuscht: "In meinen Arbeiten ist das Erwartungsmuster gestört. (…) Cinematografische Erlösung wird vermieden, und ein erzählerischer Strang kommt nicht zustande." Vielmehr erzählen folgende ProtagonistInnen die Geschichten: Die Träger der Medien Fotografie und Film, also Zeit und Licht, Musik sowie Komposition, versinnbildlicht durch die (moderne) Architektur. Letztere steht auch oft im Gegensatz zur sehr präsenten Natur, etwa in "The Stack" (2002) oder in der schon erwähnten Arbeit Bordeaux Piece.

David Claerbout beschäftigt sich intensiv und lange mit seinen Arbeiten. Oft fotografiert oder filmt er das Originalsetting, in das er später die in der Blue Box aufgenommenen menschlichen ProtagonistInnen montiert. Und viel Zeit erfordert auch die Betrachtung seiner Arbeiten. Aber dafür ginge man ja ins Museum, in ein Ausstellungshaus: "Ich habe das Glück, meine Arbeiten an Orten ausstellen zu können, wo man die tickende Uhr der vergehenden Zeit nicht hören kann. Darum geht man doch ins Museum: zurückzuschauen." Und das ist David Claerbouts wichtigstes Werkzeug als Filmemacher: "nicht der Film, sondern die Erinnerung".

Diese Sonne strahlt immer
3. Mai bis 17. Juni 2012