Die Natur der Kunst

Seit der Antike gilt die Natur als Lehrmeisterin der Künste. Die Kunst folgte den in der Natur gefundenen Vorbildern und suchte sie in der Idealisierung zu verbessern und zu steigern. Doch zugleich ist die Natur, da nicht von Menschenhand geschaffen, der Gegenpol der Kunst. Diese unfassbare Natur wird seit Klassizismus und Romantik als ebenso erhaben wie bedrohlich erlebt. Die Ausstellung im Kunstmuseum Winterthur geht aus von der Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts. Beginnend mit der neuen Form des "paysage intime", führt sie zu den atmosphärischen Momentaufnahmen des Impressionismus.

Gemälde von Eugène Delacroix, der Ecole de Barbizon und Gustave Courbet stehen am Anfang, gefolgt von solchen von Camille Pissarro, Alfred Sisley, Claude Monet und Auguste Renoir. An Renoirs späte, südfranzösische Landschaften schliesst Pierre Bonnard an. Werden in den impressionistischen Bildern Natureindrücke registriert und in ausgewogener Farbigkeit gestaltet, so werden sie bei Vincent van Gogh ekstatisch gesteigert. Während Félix Vallotton in seinen Kompositionen in klassischer Manier die Natur inszeniert, erscheint sie in Giovanni Segantinis Engadiner Bildern und in den Waldstücken und den Berglandschaften Ferdinand Hodlers symbolistisch überhöht und dekorativ stilisiert. Alle diese Künstler sind mit ganzen Werkgruppen in der Ausstellung zu sehen.

Mit Paul Cézanne setzt die Moderne ein. Das Interesse der Künstler richtet sich nun weniger auf das Motiv, sondern auf die internen Formgesetze des Kunstwerks, was sich bereits an Cézannes konstruierten Naturbildern ablesen lässt. Constantin Brancusi, Piet Mondrian und Paul Klee erheben den Anspruch, die Natur im Kunstwerk neu zu erschaffen. Max Ernst zeichnet mit seinen versteinerten Wäldern und seiner submarinen Flora eine surreale Anti-Natur. Hans Arp spricht davon, dass Malerei und Skulptur "in der grossen Werkstatt der Natur anonym sein sollten wie die Wolken, die Berge, die Meere, die Tiere, die Menschen". Fernand Léger dagegen scheut sich nicht, Elemente der Natur mit solchen der technischen Welt zu konfrontieren.

Jackson Pollock tritt mit seinem Ausspruch "I am nature" auf: der Künstler versinnbildlicht mit seinem Handeln Natur, er repräsentiert ihre Energie. Brice Marden und Sylvia Plimack Mangold greifen in ihrer Malerei auf Formen der Natur zurück. Von Fontana bis Mario Merz, Giuseppe Penone und Pedro Cabrita Reis regt die Natur zu lyrischen Werken an. Im Gegensatz dazu stehen die Arbeiten von Künstlern wie Richard Long, Giovanni Anselmo oder Roman Signer, die Naturprozesse veranschaulichen. Richard Hamilton präsentiert mit beissender Ironie eine von der Produktewerbung verklärte Natur. Gerhard Richter kehrt zur romantischen Tradition der Landschaftsmalerei zurück und konfrontiert sie mit der Abstraktion, deren vom Zufall mitbestimmte Erscheinung der Erfahrung einer übermächtigen Natur entspricht. Richter hat eigens für diese Ausstellung einen Saal mit erst kürzlich entstandenen Lackgemälden konzipiert.

In der Ausstellung, die vom Graphischen Kabinett über den Altbau bis in den Erweiterungsbau führt, werden Gemälde, Skulpturen und Zeichnungen aus über 150 Jahren gezeigt. Hauptwerke aus der Museumssammlung werden ergänzt durch Leihgaben aus Museen und Privatsammlungen.

Die Natur der Kunst
Begegnungen mit der Natur vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart
31. Oktober 2010 bis 27. Februar 2011