Die große Blütezeit des deutschen Films: Das Kino der Weimarer Republik

Murnau, Lang, Lubitsch sind zwar die berühmtesten Namen des deutschen Kinos der 1920er Jahre, doch darauf lässt sich diese Periode so wenig beschränken wie auf den expressionistischen Film. Filmarchiv Austria – unter dem Titel "Von Caligari zu Hitler" – und Filmpodium Zürich widmen dieser Glanzzeit des deutschen Films eine Retrospektive.

"Von Caligari zu Hitler" zog der Frankfurter Soziologe und Filmkritiker in seiner berühmten Publikation eine Linie. Im Schausteller, der in Robert Wienes "Das Cabinet des Dr. Caligari" (1920) mittels eines Mediums Morde begeht, sah Kracauer ebenso Vorverweise auf Hitler wie in Friedrich Wilhelm Murnaus Vampir "Nosferatu" (1921) und Fritz Langs die Welt terrorisierendem Verbrecher Dr. Mabuse ("Dr. Mabuse, der Spieler", Teil 1 + 2 [1922]; "Das Testament des Dr. Mabuse" [1933]).

Gleichzeitig spiegelte sich für Kracauer in den willenlosen und verlorenen Opfern die Befindlichkeit der durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg, den Sturz der Monarchie und die wirtschaftliche Krise zutiefst verunsicherten deutschen Bevölkerung. Spiegelbild der Gesellschaft war für Kracauer das Kino, doch das Weimarer Kino war ästhetisch und inhaltlich vielfältiger, lässt sich nicht in eine Schublade pressen.

Der expressionistischen Film ist wohl das bekannteste Erscheinungsbild des Kinos dieser Zeit, erzählten dessen Regisseure doch in einer ganz eigenen Filmsprache, überraschten mit kühnen Perspektiven, verzerrten Kulissen und markanten Licht-Schatteneffekten. "Die dämonische Leinwand" titelte die Filmhistorikern Lotte Eisner deshalb auch ihr Buch über diese Ausprägung des Weimarer Kinos.

Erzählt Fritz Lang dabei in "Der müde Tod" (1921) mit diesen Stilmitteln eine märchenhaft-romantische Liebesgeschichte, so spielt Karlheinz Martins "Von morgens bis mitternachts" (1920) ganz in der deutschen Gegenwart und erzählt von einem Bankangestellten, der nach einem Diebstahl sukzessive den Boden unter den Füßen verliert und gesellschaftlich absteigt.

Verwirrung und psychische Störung vermittelt hier die expressionistische Gestaltung, während Arthur Robison diese nützt, um in "Schatten" (1924) visuell eindrucksvoll die schlummernden Wünsche einer Abendgesellschaft aufzudecken.

Daneben entstanden aber auch große Historienfilme wie Ernst Lubitschs "Madame Dubarry" (1919) oder exotische Abenteuerfilme wie Joe Mays "Das indische Grabmal" (1921). Mit großem Aufwand adaptierte Fritz Lang "Die Nibelungen" als zweiteiligen Film für die Leinwand (1924), ehe er mit dem Science-Fiction-Film "Metropolis" (1926) tricktechnisch neue Maßstäbe setzte.

Welche Freiheiten das Kino unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkriegs genoss, zeigt dagegen "Anders als die anderen" (1919), in dem Richard Oswald die Kriminalisierung der Homosexualität durch den Paragraphen 175 anprangerte. Die staatliche Zensur, die im November 1918 abgeschafft worden war, wurde allerding im Mai 1920 mit dem Reichslichtspielgesetz schon wieder eingeführt.

Um Kleinbürger, die den Verlockungen der Großstadt erliegen und auf Abwege geraten, kreisen dagegen die sogenannten "Straßenfilme", zu deren wichtigsten Vertretern Karl Grunes "Die Straße" (1923) und Joe Mays "Asphalt" (1929) zählen.

Realismus kennzeichnet auch die Filme der Neuen Sachlichkeit. Ihr wichtigster Vertreter war Georg Wilhelm Pabst, der in Filmen wie "Die freudlose Gasse" (1925) oder "Die Büchse der Pandora" (1929) einen genauen und ungeschönten Blick für die Realität bewies und sich als scharfsinniger Psychologe zeigte.

Bestechende Milieuschilderungen zeichnet auch die Filme eGerhard Lamprechts aus, der nach Aufzeichnungen von Heinrich Zille unter anderem in "Die Verrufenen" (1925), "Die Unehelichen" (1926) und "Menschen untereinander" (1926) nicht auf einen Protagonisten fokussierte, sondern einen Querschnitt durch die Berliner Gesellschaft bot und dabei voll Empathie auf die Unterschicht blickte.

Auch ein Dokumentarfilm wie Walter Ruttmanns "Berlin - Die Sinfonie der Großstadt" (1927), in dem der Ablauf eines Frühlingstages in der Metropole geschildert wird, ist der Neuen Sachlichkeit zuzuordnen. Zielt dieser Film durch eine mitreißende Montage und das Aufeinanderprallen von Gegensätzen ganz auf Rhythmus und zeigt wenig Interesse an den Menschen, so stehen letztere in Fred Zinnemanns, Billy Wilders, Edgar G. Ulmers und Robert Siodmaks "Menschen am Sonntag" (1928) gerade im Mittelpunkt. Fast dokumentarisch wird in diesem Gemeinschaftsprojekt ein Sonntag der Berliner geschildert, nur rudimentär wird eine Handlung entwickelt.

Im Bereich des Experimentalfilms schufen Walter Ruttmann, Oskar Fischinger und Hans Richter mit ihren abstrakten Filmen wegweisende Werke, während Lotte Reinigers Scherenschnittfilm "Die Abenteuer des Prinzen Achmed" (1926) als erster abendfüllender Animationsfilm gilt.

Auf der einen Seite gab es Arnold Fanck, der in Filmen wie "Der heilige Berg" (1926) die Natur mystifizierte, auf der anderen legten Phil Jutzi mit "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" (1929) und Slatan Dudow mit "Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt" (1932) proletarische Filme vor, die entschieden Partei für die Rechte der Arbeiter und eine Verbesserung ihrer Lage ergriffen.

Gegenpol zu diesen Filmen waren wiederum Musikfilme wie "Der Kongress tanzt" (Erik Charell, 1930) und "Die Drei von der Tankstelle" (Wilhelm Thiele, 1931), in denen Lilian Harvey und Willy Fritsch die Hauptrollen spielten. Flucht aus dem Elend der Weltwirtschaftskrise boten diese heiteren Filme und entwickelten sich so zu Kassenschlagern.

Anspielungen auf die Nationalsozialisten und ihren Machtzuwachs finden sich dagegen in Fritz Langs meisterhaftem Krimi "M – Eine Stadt sucht einen Mörder" (1931) sowie dem ebenfalls von Lang gedrehten "Das Testament des Dr. Mabuse" (1933). Wenn hier am Ende eine surreale Verfolgungsjagd in die Nacht steht, kann diese auch als Bild für die Flucht zahlreicher Filmschaffender aus Deutschland nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Jänner 1933 gelesen werden. Abrupt endete damit diese filmische Blütezeit und an die Stelle der Vielfalt trat Gleichschaltung – ganz zu schweigen vom Terror, der durch das Regime 12 Jahre lang ausgeübt wurde.

Trailer zu Rüdiger Suchslands Dokumentarfilm "Von Caligari zu Hitler - Das Kino im Zeitalter der Massen"