Die Fotografin der magischen Sekunde

Die Fotografin Ré Soupault steht im Zentrum der klassischen Moderne zwischen Berlin und Paris. Ré Soupault wurde 1901 als Meta Erna Niemeyer in Bublitz/Pommern geboren. Sie zählt zu den bedeutendsten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts. Seit ihrer Ausbildung am Bauhaus in Weimar (1921–1925) bei Johannes Itten, Wassily Kandinsky, Georg Muche, Oskar Schlemmer, Paul Klee und anderen ist sie Teil der europäischen Avantgarde-Bewegungen der 1920er und 1930er Jahre. 1923/24 stellte sie mit dem schwedischen Avantgarde-Filmemacher Viking Eggeling dessen Film »Diagonal-Symphonie« fertig.

In Paris lernt sie 1925 Man Ray und Fernand Léger kennen. Weimar verlässt sie endgültig 1925 und arbeitet als Modejournalistin für den Berliner Scherl-Verlag, u. a. für dessen Zeitschriften »Silberspiegel« und »Sport im Bild«, auch als Korrespondentin in Paris. 1926 heiratet sie den Dadaisten und Maler Hans Richter. In ihrer Wohnung in der Trabenerstraße in Berlin trifft sich die internationale Avantgarde. Nach ihren journalistischen Arbeiten für den Scherl-Verlag, gründet sie in Paris 1928 das Modestudio »Ré Sport« und führt dies bis 1934. Sie entwirft Prêt-à-Porter, kleidet Frauen der Pariser Bohème ein und arbeitet eng mit Man Ray zusammen, der ihre Frühjahrs- und Herbst-Kollektionen fotografiert.

1933 lernt sie den Mitinitiator der Surrealismus-Bewegung Philippe Soupault (»Die Magnetischen Felder«, zusammen mit André Breton) kennen, den sie 1936 heiratet. Sie gehört in Paris zum Künstler-Zirkel um Man Ray, Fernand Léger, Florence Henri, Gisèle Freund, Elsa Triolet, Helen Hessel, Max Ernst, Henryk Berlewi, Kiki, Foujita, Sonia und Robert Delaunay, André Kertesz, Alberto Giacometti. Philippe Soupault ist seit Ende der 1920er Jahre einer der bedeutendsten französischen Journalisten und arbeitet u. a. für »VU«, »Excelsior«, »L’Intransigeant«. Er überredet Ré seine Reportagen zu bebildern.

Ré Soupaults fotografisches Werk entsteht zwischen 1934 und 1952 auf Reisen in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Schweden, Norwegen, Finnland, USA und Tunesien. Sie arbeitet von Beginn an mit einer 6x6 und 4x4 Rolleiflex-Kamera und einer Leica. Nach ihrer Flucht aus Tunis und einem vierjährigen Aufenthalt in Nord-, Mittel- und Südamerika lebt Ré Soupault ab 1948 in Basel, wo sie als Übersetzerin (u. a. Romain Rolland, Lautréamont, Tristan Tzara) arbeitet und bei Karl Jaspers studiert.

Seit Mitte der 1950er Jahre lebt die Künstlerin wieder in Paris und arbeitet bis zu ihrem Tod 1996 als Übersetzerin, Schriftstellerin, Filmemacherin, Hörspielautorin, Radio-Essayistin und Herausgeberin von Märchen-Anthologien. Reportagefotografie, Portraits und Alltagsszenen bestimmen ihr fotografisches Werk, das durch seine Geradlinigkeit, Klarheit, Vielfältigkeit und Zeitlosigkeit besticht. Kein Foto ist gestellt, »alles kam aus dem Leben« (Ré Soupault). Das zunächst verloren geglaubte fotografische Werk – es umfasst ca. 1500 Negative und ca. 150 vintage prints – wird erst Ende der 1980er Jahre wieder entdeckt.

Für den Martin-Gropius-Bau in Berlin ist eine große Retrospektive zum Werk der Ré Soupault geplant. Es ist ihre erste große Gesamtschau. Gezeigt werden etwa 250 Arbeiten, davon ein Viertel vintage prints. Viele der Arbeiten werden zum ersten Mal zu sehen sein, nach dem sie im Nachlass entdeckt wurden.


Zur Ausstellung erscheint im Heidelberger Verlag »Das Wunderhorn« ein Katalog.

Ré Soupault (1901–1996) - Die Fotografin der magischen Sekunde
28. April bis 13. August 2007