Der textile Raum

Die Textilkunst erlebt derzeit eine Renaissance. Die Ausstellung "Der textile Raum" im Museum Bellerive spannt den Bogen von kunstgewerblichen Raumtextilien der 1910er Jahre bis zum zeitgenössischen Design. Sie zeigt den Stellenwert der Schweizer Textilkunst im internationalen Kunstkontext und dokumentiert in einer dichten Schau die eindrücklichen Karrieren ihrer Protagonistinnen an virtuosen Objekten und zahlreichen Zeitdokumenten.

Vor rund hundert Jahren lenkte Sophie Taeuber-Arp (1889–1943) die vormals floralen Tüllstickereien ihrer Schülerinnen auf geometrische Wege und legte damit die Basis für einen innovativen Umgang mit textilen Techniken. Die Taeuber-Arp-Schülerin Elsi Giauque (1900–1989) führte das visionäre Erbe ihrer Lehrerin fort und gleiste im Rahmen ihres Lehrauftrags für textile Experimente zwischen 1944 und 1966 zahlreiche Auftragsarbeiten im angewandten Bereich auf. An ihrem Wohnort in Ligerz am Bielersee betrieb sie zusammen mit der ehemaligen Studentin Käthi Wenger (*1922) ein Atelier für experimentelle Gewebe.

Die dort entstandenen freien Arbeiten führten das Genre der Weberei in eine neue Dimension und sorgten an der Biennale Internationale de la Tapisserie in Lausanne – ab 1962 das Schaufenster der internationalen "Fiber Art"-Bewegung – für Furore. Im Museum Bellerive behaupten sich Giauques und Wengers textile Säulen aus längs laufenden Spannfäden als prägnante architektonische Elemente, während sich die aus farbigen Kacheln bestehende Installation "Élément spatial" – eine Ikone der Textilkunst – dank ihrer Durchlässigkeit in stets neuer Farbigkeit komponiert.

Der Erfolg ihrer Schülerinnen unterstreicht Elsi Giauques Beitrag zum internationalen Renommee, das die Schweizer Textilkunst noch heute geniesst. Moik Schieles (1938–1993) Raumelement "Silberne Welle" schlängelt sich elegant durch die Vertikale, während ihre farbgewaltigen Tapisserien eine geradezu explosive Wirkung entfalten. Liselotte Siegfried (*1935) wiederum klöppelte in filigraner Weise auf grobmaschigem Hasenzaun. Andere Schülerinnen, wie Marlise Staehelin (1927–1991), trugen ihr Wissen weiter und legten das Fundament für Karrieren wie jene der Westschweizer Künstlerin Françoise Grossen (*1943), die schwere Fäden zu Stricken und Knoten verdichtet und mit einer neuen Sinnlichkeit verführt.

Ausgehend von kunstgewerblichen Raumtextilien folgt die Ausstellung den Schlüsselwerken der Fiber Art und verfolgt in Druck- und Webstoffen ihre Ausleger hin zum Textildesign. So zeigt sie etwa Entwürfe für Meterware der in die Schweiz emigrierten Bauhaus-Meisterin Gunta Stölzl (1897–1983), die durch innovative Strukturen und Materialien wie Zellophan und Kunstseide bestechen. Die extravaganten Wohntextilien des Designerpaars Trix und Robert Haussmann wiederum schaffen illusionäre Materialverfremdungen. Claudia Caviezel schliesslich evoziert mit ihren Wandbehängen ein vielschichtiges tropisches Raumgefühl.

Die Ausstellung "Der textile Raum" folgt gemeinsamen Strukturmerkmalen und mischt Unikate und Design. Bestände der Sammlungen des Museum für Gestaltung und des Archivs der ZHdK, ergänzt durch Leihgaben aus der Fondation Toms Pauli, den städtischen Sammlungen Bern, Biel und Zürich und dem Kunstmuseum Winterthur, sowie Leihgaben der Künstlerinnen und ihrer Familien verweben sich zu einem dichten, spannenden Netz.


Der textile Raum
23. Oktober 2015 bis 21. Februar 2016