Der Moderne Bund

Der "Moderne Bund" gilt heute als erste wirklich Aufsehen erregende und für die Rezeption der modernen Kunst in der Schweiz bedeutendste Künstlervereinigung. Seine Gründung 1911 markiert den Aufbruch der Moderne in der Schweiz. Die Schweizer Kunstschaffenden zu Beginn des 20. Jahrhunderts bewegen sich in einem betont internationalen Beziehungsnetz. Ohne Verzögerung gelangen so avantgardistische Strömungen aus dem Ausland in die Schweiz. Selten zuvor ist die Schweiz so nahe am Puls der Zeit.

Deutlich macht dies die praktisch gleichzeitige Gründung des Modernen Bundes in Weggis am Vierwaldstättersee und des Blauen Reiters durch Kandinsky in München. Beide Künstlervereinigungen verfolgten das Ziel, avantgardistische Kunst einem weiteren Publikum bekannt und zugänglich zu machen. Die Ausstellung im Kunstmuseum Luzern will anhand ausgewählter Leihgaben und Werken aus den eigenen Beständen den künstlerischen Dialog der Künstlergruppe verdeutlichen. Neben Arbeiten der Kerngruppe um Arp, Helbig und Lüthy werden vor allem Zeichnungen, Druckgrafik und Gemälde von Gimmi, Huber und Klee gezeigt, die schon bald nach der Gründung zur Gruppe gestossen sind und sich an den Ausstellungen und den Grafikmappen beteiligt haben.

Die Fokussierung auf die Themen "Landschaft" und "Körper" macht deutlich, inwieweit sich die Künstler auf die theoretischen Konzepte des Expressionismus und des Kubismus beriefen und die Inspiration durch die Leitfiguren der aktuellsten Bewegungen in Frankreich und Deutschland nicht scheuten. Die Ausstellung vereint rund 100 Exponate. Ein speziell für die Ausstellung realisierter Dokumentations-Film von Thaïs Odermatt lässt den einmaligen Treffpunkt in Arps Haus in Weggis wieder aufleben. Die von Doris Fässler herausgegebene wissenschaftliche Publikation erscheint im Diopter Verlag, Luzern, und zeichnet erstmals die Geschichte des Modernen Bundes nach. Darin wird deutlich, wie die Gruppe in künstlerischer wie kunsthistorischer und kulturpolitischer Sicht Pionierarbeit geleistet hat, indem sie die Schweiz mit internationalen avantgardistischen Stilrichtungen konfrontierte.

Die drei Gründungsmitglieder des Modernen Bundes Hans Arp, Walter Helbig und Oscar Lüthy treffen im August 1911 in Arps Weggiser Bauernhaus aufeinander. Der etwas ältere Helbig ist eben aus Deutschland in die Schweiz gezogen. Er gehört als Mitglied der Neuen Secession in Berlin bereits zur künstlerischen Avantgarde und unterhält Kontakte zu den Malern der Künstlergruppen Brücke und Blauer Reiter. Seine Werke aus dieser Zeit, insbesondere die Holzschnitte, sind denn auch in der Nähe der Brücke anzusiedeln. Von seinen Erfahrungen mit Künstlervereinigungen und seinen diversen Kontakten profitiert der Moderne Bund, der sich als Teil einer internationalen avantgardistischen Bewegung versteht. Der jüngste der dreien, Hans Arp, ist ebenfalls mehr dem Umfeld des Expressionismus zuzurechnen, während der aus Bern stammende Lüthy sich in Paris mit dem Kubismus eingehend auseinandersetzt und sich dessen Formensprache aneignet.

Ein einheitlicher Gruppenstil, wie ihn etwa die Brücke zeitweise pflegt, wird im Modernen Bund nicht angestrebt. Es sind auch keine Statuten oder sonstige verbindliche Richtlinien bekannt. Das grösste verbindende Element ist das Interesse an avantgardistischen Bewegungen in Deutschland und Frankreich und die mehr praktische Überlegung, im Kollektiv mehr Durchschlagskraft zu haben. Die erste gemeinsame Ausstellung findet zwischen dem 3. und dem 17. Dezember 1911 im Grand Hotel du Lac in Luzern statt. Wie die meisten avantgardistischen Gruppierungen hat der Moderne Bund anfangs Mühe, einen geeigneten Ausstellungsort zu finden.

Die Ausstellung umfasst 65 Werke von 16 Künstlern. Inzwischen sind Wilhelm Gimmi und Hermann Huber als erste Neumitglieder dem Modernen Bund beigetreten. Huber, der gerade eine Reise nach Algier hinter sich hat, vertritt mit einfachen, kräftigen Formen und reinen Farben die expressionistische Richtung, während Gimmi, der sich vor allem in Paris aufhält, dem Kubismus zuzurechnen ist. Der Hauptakzent liegt auf einer Gruppe eingeladener französischer Maler, darunter Henri Matisse, Paul Gauguin, Auguste Herbin und Pablo Picasso, die einen Drittel der Exponate stellen. Dem bewusst international gestalteten Rahmen werden arrivierte Schweizer Künstler wie Cuno Amiet und Ferdinand Hodler zur Seite gestellt.

Dennoch sind die Reaktionen in der Presse verständnislos und gehässig, die Berichterstattungen voller Häme und primitiver Ironie. Es ist die Rede von "Steinzeitalter- und Kindermalerei", von "Abart der Kunst", usw. Die Sensation der Ausstellung sind die Kubisten – Picasso, Gimmi, Herbin und Lüthy – die besonderes Missfallen erregen. Ein vom Modernen Bund zur Klärung abgedruckter Artikel von Michel Puy kann nicht ändern, dass "Kubismus", mit dem man undifferenziert sämtliche nichtimpressionistischen Werke bezeichnet, noch bis in die 1920er Jahre zum Schlag- und Schimpfwort für alles Neue avanciert. Die einzige positive Rezension stammt aus der Feder des Kunstkritikers der Neuen Zürcher Zeitung, Hans Trog, der sich schon zuvor als unermüdlicher Verfechter der künstlerischen Erneuerung hervorgetan hat.

Sieben Monate später, am 7. Juli 1912, wird die zweite Ausstellung des Modernen Bundes im Zürcher Kunsthaus eröffnet. Verschiedene Galerien Zürichs (Wolfsberg, Neupert und Bollag) widmen sich zu dieser Zeit der neueren Kunst und Persönlichkeiten wie der aufgeklärte Konservator Wilhelm Wartmann oder der Kunstsammler und -mäzen Richard Kisling sorgen in Zürich für ein anderes, aufgeschlosseneres Kunstklima als in Luzern. Umso bemerkenswerter sind die heftigen Reaktionen, die die Ausstellung beim Publikum und der Presse hervorruft. Eigentliche Sensation der Ausstellung ist der mit sechs Ölgemälden und zwei Aquarellen vertretene Kandinsky.

Die als Wanderausstellung konzipierte dritte und vierte Ausstellung folgen 1913 in Deutschland und tragen den Titel "Moderner Bund Schweiz". Sie finden vom 16. März bis zum 4. April in der Galerie Hans Goltz in München und vom 16. April bis zum 31. Mai in der Galerie Sturm in Berlin statt. Gezeigt wird dementsprechend nur die Schweizer Gruppe, also Werke von Hans Arp, Wilhelm Gimmi, Walter Helbig, Hermann Huber, Paul Klee, Oscar Lüthy sowie von Neumitglied Albert Pfister. Dazu erscheint ein illustrierter Katalog mit einem Vorwort des Kunstschriftstellers L.H. Neitzel. Zu weiteren, vor allem in Korrespondenzen erwähnten Ausstellungen in Frankfurt, Hamburg und Kiel fehlen leider wichtige Informationen.

Noch im selben Jahr reisen die drei Gründungsmitglieder Arp, Helbig und Lüthy gemeinsam nach Paris. Danach bricht die Künstlergruppe ohne formell vollzogene Auflösung auseinander und die ehemaligen Mitglieder verwirklichen ihre je individuellen Stile. Die Gründe für die Auflösung sind nicht geklärt. Vermutet wird aber ein Zusammenhang mit dem Wegzug von Hans Arp, von dem immer eine initiative Kraft ausgegangen ist. Auch der Ausbruch des ersten Weltkrieges, der viele Kontakte zu ausländischen Künstlerkollegen erschwert oder verunmöglicht, dürfte seinen Anteil an der Auflösung gehabt haben.

Trotz seiner kurzen Dauer sind die Verdienste des Modernen Bundes für die Schweizer Kunstlandschaft hoch einzuschätzen. Als erste wirklich bedeutende Künstlergruppe macht sie die Schweiz mit den international avantgardistischen Strömungen bekannt und verarbeitet diese in eigenständigen Leistungen. Obwohl die Erneuerungen mehrheitlich auf Ablehnung stossen und als Umsturz sittlicher und nationaler Werte empfunden werden, eröffnen die beiden Ausstellungen einen Diskurs, der eine neue Dimension ins Schweizer Kunstbewusstsein bringt und zum Überdenken gewisser Normen anregt.

Publikation: Doris Fässler (Hrsg.), "Der Moderne Bund (1911–1914). Beginn der Moderne in der Schweiz". Mit Beiträgen von Christian Bührle, Doris Fässler, Paul Müller, Osamu Okuda, Viola Radlach, Silvia Volkart, Walburga Krupp, Luzern: Diopter, 2011, 190 Seiten, 60 Farb-, 50 Schwarz-Weiss-Abbildungen 23 x 30 cm, Hardcover mit Schutzumschlag, CHF 68.-, ISBN 978-3-905425-16-5

Der Moderne Bund
Arp, Helbig, Lüthy, Gimmi, Huber, Klee
13. August bis 13. November 2011