Chen Zhen war ein Grenzgänger, ein kulturell Heimatloser, der symbolische Brücken zwischen verschiedenen Wirklichkeiten geschaffen hat. Sein Werk reüssierte international und ist längst Referenz für eine nachfolgende Künstlergeneration geworden.
Jetzt, mehr als dreißig Jahre nach der Kulturrevolution und dem Tod Maos, hat sich in China eine vielfältige und dynamische Kunstszene entwickelt, die mit rasanter Geschwindigkeit den internationalen Kunstmarkt erobert. Chen Zhens künstlerischer Werdegang steht exemplarisch für den Beginn dieser Entwicklung, die sich unter dem Brennglas enormer politischer und wirtschaftlicher Umwälzungen entfaltet hat.
Isolation, Zensur und ständige Repression der herrschenden Kommunistischen Partei Chinas bildeten den Tenor, der hinter jeder neuen künstlerischen Arbeit eine politische Bedrohung sah. Neben Huang Yongping und Cai Guo"Qiang zählt Chen Zhen zu jenen herausragenden Künstlern der chinesischen Avantgarde, die schon Mitte der 1980er Jahre, desillusioniert von der nachmaoistischen Reformpolitik, China verlassen haben.
1986 emigrierte er nach Paris und entwickelte sein Werk als transhistorische, utopische Projektion, die Harmonie durch Differenz erzeugen wollte. Ursprünglich Maler wandte er sich bald skulpturalen und installativen Arbeiten zu: Er benutzte den menschlichen Körper, Krankheit und chinesische Heilpraktiken als Metaphern, um die komplexen und bisweilen paradoxen Verbindungen zwischen dem Materiellen und dem Spirituellen, dem Gemeinschaftlichen und dem Individuellen, dem Inneren und dem Äußeren auszuloten.
Chen sah sich als Mittlerfigur in einer ästhetisch-politischen Zwischenzone, die vom konfuzianischen und maoistischen China genauso geprägt wurde wie von den Leitideen und künstlerischen Konvulsionen der westlichen Moderne. Zu einem Zeitpunkt, als die Worte Globalisierung und Multikulturalismus noch nicht zur lingua franca der Welterklärungsdiskurse zählten, entwarf Chen Zhen ethische und ästhetische Leitmotive, die Globalisierungskritik, Interkulturalität und Ethnizität mit souveräner Weitsicht in die internationale Umlaufbahn brachten.
Chen Zhen starb im Dezember 2000 an Leukämie – das Verständnis der Krankheit als unabdingbarer Teil der eigenen Individualität beeinflusste jede künstlerische Überlegung. Das wohl wichtigste »Projekt« war der Wunsch und sein Streben nach Selbstheilung: »Becoming a doctor« ist sowohl wörtlich als auch im Sinne der künstlerischen Intention zu verstehen. Alle inhaltlichen Auseinandersetzungen, sei es der spezifische Umgang mit dem Dinghaften, Migration und Exil und die weitreichenden Visionen des interkulturellen Dialogs, sind immer auch anschauliche Dokumente des Unsagbaren, das Spiritualität und heilende Kraft in die Materialität der Skulptur übersetzte.
Die Kunsthalle Wien zeigt erstmals in Österreich retrospektiv alle wichtigen Werkphasen des Künstlers: Zeichnungen, Fotocollagen, Skulpturen und Installationen einschließlich Modelle und Skizzen der noch nie präsentierten »unrealized projects«. Die rund vierzig Werke, entstanden zwischen 1989 und 2000, werden den Dialog weiterführen, den Chens früher Tod unterbrochen hat.
Chen Zhen - Der Körper als Landschaft
25. Mai bis 2. September 2007, Halle 1
Eröffnung: Do 24. Mai 2007, 19 Uhr