Der Fotograf als Erzähler

Herbert Maeder war seit den frühen 1950er Jahren ein Leben lang als Fotojournalist mit der Kamera unterwegs. Die Betonung liegt auf "Journalist": Maeder ging es immer zuerst um die Geschichten. Das Bild steht zwar durchaus im Zentrum, aber es ist unfertig ohne das Wort, ohne die Geschichte dazu – und sei es nur eine Legende, die Angabe von Ort und Zeit des Geschehens, die dem Bild eine historische Verortung gibt. Die Fotografie als Kondensat einer Geschichte – und gleichzeitig als Ausgangspunkt für die Erzählung dieser Geschichte. Herbert Maeder verkörpert diesen Ansatz vorbildlich: Der Fotograf als Erzähler.

Dennoch hat die Fotografie auch eine Eigenwertigkeit als Bild. Das Bild soll auch für sich allein bestehen können – dann handelt es sich um eine gute Fotografie und nicht einfach um eine Abbildung oder Illustration. Maeder kaprizierte sich nie auf die formalen, künstlerischen Aspekte der Fotografie – diese Auseinandersetzung lief ganz nebenher. Maeder beherrscht die Kunst, im richtigen Moment auszulösen, wenn eine Szene sich zum Bild fügt. Und noch eine andere Kunstfertigkeit zeichnet ihn aus: die Fähigkeit, Vertrauen und Nähe zu den Menschen aufzubauen, so dass er ganz selbstverständlich Teil einer Handlung sein kann, die er gleichzeitig fotografiert. Das bringt ihn – und das bringt uns als Betrachtende ganz nahe heran.

Maeders Anfänge liegen in der grossen Zeit der Schwarzweiss-Fotografie mit Time-Life als Leitmedium und der "Family of Man" als Leitidee: Die Fotografie zu ihren besten Zeiten, aufklärerisch, kritisch, humanistisch und schön - eine neue Kunstform im Zeitalter der gedruckten Massenmedien. Mit diesem Impuls brach der junge Maeder auf, man sieht es schon seinen frühesten Bildern an und es durchdringt sein Werk bis heute. Und da er regsam war, zu den Leuten ging, in die Berge stieg und in ferne Länder reiste, hatte er immer viel zu sehen und zu erzählen.

Die Ausstellung im Appenzeller Volkskunde-Museum Stein konzentriert sich vollständig auf Herbert Maeders Frühwerk in Schwarzweiss. Von den ersten Erkundungen noch zur Studienzeit (Marseille 1952) über frühe Bildreportagen und Bildbände ("Alpstein" 1954, "Sizilien" 1964 u. v. a.) reicht der Bogen bis in die 1980er Jahre, als Maeder längst auch farbig fotografierte, um den Anforderungen der Bildpresse gerecht zu werden. In seinem Herzen blieb er aber der klassische Schwarzweiss-Fotograf.

Schwarzweiss-Fotografien sind zugleich abstrakter und konkreter als farbige, sie entwickeln eine eigene Aesthetik. Auch im Bekenntnis zur "Available-Light"-Fotografie, zum Fotografieren mit dem vorhandenen Licht unter Verzicht auf künstliche Lichtquellen wie Lampen oder Blitz. So wird die Intimität einer Situation bewahrt. Die Kunst, die Maeder wie selbstverständlich beherrschte, war die Fähigkeit, aus dem "richtigen Augenblick" heraus Bilder zu schaffen, die über diesen Augenblick hinausweisen. Damit werden auch die Objekt-Subjekte seiner Kunst, die Menschen, geadelt.

Kurator Marcel Zünd hat in enger Abstimmung mit Herbert Maeder eine "Best-of"-Auswahl getroffen, die viele Maeder-Klassiker, aber auch selten gesehene Arbeiten umfasst. Thematisch und geografisch weit gefächert, gibt die Ausstellung einen repräsentativen Einblick in Maeders Lebenswerk als Fotograf mit dem "humanen Blick". Sie reiht Maeder ein in die Tradition grosser Schweizer Fotografen des 20. Jahrhunderts.

Herbert Maeder - Ausgewählte Bilder
aus dem Frühwerk in Schwarzweiss
10. April bis 10. Oktober 2010