Der Dieb ist die Elster

28. November 2022 Martina Pfeifer Steiner —
Bildteil

Mit "La Gazza Ladra", dem nicht sehr geläufigen Originaltitel Rossinis Oper, wendet sich das Theater an der Wien ziemlich anspruchsvoll ans Publikum. Anspruchsvoll zu bespielen ist auch die temporäre Dependance in der Halle E im Museumsquartier, bis Ende 2024 die Generalsanierung des Musiktheaters am Naschmarkt abgeschlossen ist. Frischen Wind bringt der neue Intendant und gefeierte Opernregisseur Stefan Herheim, diese Inszenierung überlässt er Tobias Kratzer (zuletzt Tannhäuser bei den Bayreuther Festspielen), der in der aufwändigen Produktion aus dem Vollen schöpft: vieles gut, vieles fragwürdig.

Reißerisch beginnt es schon mit der Ouvertüre, die sich als Hit in Konzertsälen und Sonstigem verselbständigte. Von Gioachino Rossini ist dazu überliefert: "Die Ouvertüre zur Diebischen Elster habe ich am Tag der Uraufführung unter dem Dach der Scala geschrieben, wo mich der Direktor gefangen gehalten hatte. Ich wurde von vier Technikern bewacht, die die Anweisung hatten, meinen Originaltext Blatt für Blatt den Kopisten aus dem Fenster zuzuwerfen, die ihn unten zur Abschrift erwarteten. Falls die Notenblätter ausbleiben sollten, hatten sie die Anweisung, mich selbst aus dem Fenster zu werfen." Dies muss sich am 18. Mai 1817 in Mailand zugetragen haben!

Trommelwirbel. Die Bühne – ein zweistöckiges Gebäude. Wir befinden uns auf einem heruntergekommenen Bauernhof (nicht beim reichen Winzer), offensichtlich in Zeiten eines Bürgerkriegs, und sind Zeugen einer Fast-Vergewaltigung der Bäuerin, oben beim Wäscheaufhängen und Plünderung in der Küche, unten. Mittig die Projektion eines Drohnenflugs – und ja, es ist die Elster, die nach Glänzend-glitzerndem Ausschau hält. Schon der Titel verrät die Täterschaft, bis zur Aufklärung des fatalen Diebstahls dauert es jedoch dreistundenlang.

Es herrscht freudige Aufregung, denn der Sohn wird aus dem Krieg zurückerwartet. Ninetta (Nino Machaidze) sollte die Schwiegertochter werden, Mutter Lucia (Marina de Liso) hat Bedenken und ist immerzu damit beschäftigt, die Silberbesteck-Kassette zu streicheln und den Inhalt zu zählen. Die Dorfleute tragen Trainingsanzug, Baustellenkleidung und 80er-Jahre-Pullis. Detailreich ist das Treiben, doch warum wird Suppe in den Fressnapf geschöpft und vor die Hundehütte gestellt? Giannetto (Maxim Mironov) erscheint, das Liebespaar sinkt einander in die Arme und verschwindet hinter den Strohballen im oberen Stock. Doch warum taucht er dann im Unterhemd wieder auf und schließt proletig seinen Hosenschlitz?

Das Unheil nimmt seinen Lauf. Auch Fernando, Ninettas Vater (Paolo Bordogna), kehrt zurück, hat sich jedoch wegen des unerlaubten Freigangs in Schwierigkeiten gebracht. Die beiden werden von Podestà Gottardo (Nahuel Di Pierro), der ranghöchsten Amtsperson des Dorfes, überrascht, der Vater versteckt sich in der Hundehütte. Doch warum schüttet Ninetta jetzt Wein in den Fressnapf, und warum krabbelt Fernando wieder heraus, um entdeckt zu werden? Witzig ist schon, dass der Bürgermeister mit einem Mercedes vorfährt, eigenartig jedoch, dass einer seiner Männer, auf die Anweisung, etwas zum Hinsetzen zu bringen, mit einer Hollywood Schaukel antanzt.

Fernando stürzt seine Tochter ins Unglück, weil er sie Silberbesteck verkaufen lässt, für seine Flucht. Und genau dieses fehlt in der Schatulle der Bäuerin. Die Beweislast ist groß, ein Indizienprozess wird geführt, Ninetta zum Tode verurteilt. "Es gibt da eine Handlungsspirale, die sich verselbständigt und ab irgendeinem Punkt im zweiten Akt keinen aktiven Akteur mehr hat. Alle haben diese Verurteilung der Hauptfigur mitangestoßen und jede der Figuren möchte den Vollzug des Urteils jetzt unbedingt aufhalten, aber es gibt niemanden mehr, der seinem Schicksal oder dem der Anderen noch aktiv Einhalt gebieten kann", erklärt der Regisseur und vermag genau das sehr präzise und spannend – bis zum guten Ende in letzter Sekunde – zu erzählen.

Großen Anteil daran hat natürlich die Musik Rossinis, dargebracht vom ORF Radio-Symphonieorchester Wien, am Pult Antonino Fogliani, vom Arnold Schoenberg Chor sowie den hervorragenden Sängerinnen und Sängern. So imposant und für ein Bühnenbild gewiss reizvoll die Räumlichkeit der Halle im Museumsquartier ist, so groß sind jedoch die akustischen Herausforderungen. Man wird hören, wie und wo da noch an Verbesserungen gefeilt werden kann.

La Gazza Ladra von Gioachino Rossini
MusikTheater an der Wien im Museumsquartier

Musikalische Leitung: Antonino Fogliani,
Inszenierung: Tobias Kratzer
Bühne und Kostüm: Rainer Sellmaier
Licht: Michael Bauer
Video: Manuel Braun, Jonas Dahl
Dramaturgie: Bettina Bartz

Fabrizio Vingradito: Fabio Capitanucci
Lucia: Marina de Liso
Giannetto: Maxim Mironov
Ninetta: Nino Machaidze
Fernando Villabella: Paolo Bordogna
Podestà Gottardo: Nahuel Di Pierro
Pippo: Diana Haller
Isacco: Riccardo Botta
Antonio: Johannes Bamberger
Giorgio: Timothy Connor
Ernesto: Alexander Aigner
Il Pretore: Zacharias Galaviz
Hammerklavier: Robert Lillinger

ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Arnold Schoenberg Chor (Leitung: Erwin Ortner)