Claire Morgan - Gehalten und beschützt werden

Die irische Künstlerin Claire Morgan setzt sich in ihren Arbeiten mit den elementaren Bedingungen des Menschen in seinem Lebensraum auseinander. Sie verarbeitet persönliche Erlebnisse wie ihre Beobachtungen zum Kreislauf der Natur und zum Verhältnis zwischen Natur und Mensch. Ihre fragilen, zumeist hängenden Installationen spiegeln das Interesse der Künstlerin an natürlichen Prozessen und organischen Materialien wider. Mit der Ausstellung in der Landesgalerie Niederösterreich wird ihr Werk erstmals in Österreich gezeigt.

In der internationalen zeitgenössischen Kunstszene nimmt Morgan eine einzigartige Position ein. Seit 2003 entwickelt die Künstlerin ein aus Installationen, Skulpturen, Gemälden und Zeichnungen bestehendes Werk, das mit etlichen Preisen ausgezeichnet wurde. Mit einem herausragenden Gespür für besondere und eher kunstferne Materialien wirft sie grundlegende Fragen zum komplexen Verhältnis von Mensch und Natur auf. In ihren vielschichtigen Installationen mit eigenhändig präparierten Tieren bringt sie die Vergänglichkeit und Ambivalenz des Lebens zu Ausdruck. Anmut und Schönheit, aber auch Tod und Verlust sind in ihren Werken stets präsent.

Die für das Erdgeschoss der Landesgalerie Niederösterreich entwickelte raumgreifende Arbeit "Hold me tightly lest I fall" tritt sowohl mit der Architektur als auch mit der Umgebung des Museums in Dialog. Verschiedenfarbige Plastikschnipsel, feine Distelsamen und Vogelfedern hängen an rund 4.500 transparenten Nylonfäden von der Decke des Ausstellungsraumes. Aus diesen Materialien hat die Künstlerin zwei Korridore geformt, die quer durch den Ausstellungsraum verlaufen und sich in der Mitte kreuzen. Im Kreuzungspunkt ist eine menschliche Figur in Form einer Wachsskulptur sichtbar, deren Oberkörper von Federn und anderen Materialen verdeckt ist. Der weibliche Körper scheint inmitten des schwebenden Materials von einer unsichtbaren Kraft und Bewegung nach oben gezogen zu werden. Der Eindruck der Bewegung geht auch von zehn präparierten Vögeln aus, die die Korridore beleben. Es handelt sich um Arten, die sowohl in Österreich als auch in England heimisch sind (Aaskrähe, Amsel, Buchfink, Dohle, Kanadagans, Ringeltaube, Schwarzkopfmöwe, Singdrossel, Stieglitz, Stockente).

Morgan hat das Handwerk der Taxidermie erlernt, um die tot aufgefundenen Tiere selbst zu präparieren. Mit der Zeit, Aufmerksamkeit und der Arbeit, die sie einem toten Lebewesen widmet, zollt sie ihm auch Respekt und Achtung. Keineswegs will die Künstlerin mit den Tieren die Illusion von Lebendigkeit vermitteln, sondern viel eher auf die Ambivalenz von Leben und Tod, auf den Gegensatz von Schönheit und Verletzlichkeit hinweisen und unser Bewusstsein für eine nachhaltigere und respektvollere Beziehung mit der Tier- und Pflanzenwelt schärfen. So ist es neben der handwerklichen Meisterschaft und der technischen Virtuosität insbesondere das souveräne Spiel mit Ambivalenzen, das an Morgans Kunst begeistert.

Die raumgreifende Skulptur in Krems ist die erste Installation von Morgan, die direkt von den Besucher:innen begehbar ist. An vier Stellen öffnen sich die Korridore so weit, dass das Publikum hindurch schreiten und die Installation aus verschiedenen Perspektiven im Raum erleben kann. Ebenso zum ersten Mal integriert die Künstlerin Sound in ihre installative Arbeit. Für die Landesgalerie kreiert sie einen Klangteppich aus menschlichen und tierischen Herzschlägen, Vogelgezwitscher und elektronischen Klängen. So verdichtet sich ihr Grundverständnis, dass Mensch und Tier auf tiefer Ebene eng miteinander verbunden sind.

Den Titel des Werks "Hold me tightly lest I fall" hat die Künstlerin einem Liedtext entnommen. Die Bitte, gehalten und beschützt zu werden, will metaphorisch die Bedrohung der menschlichen Existenz in einer natürlichen Welt zum Ausdruck bringen, die zunehmend durch menschliche Aktivitäten destabilisiert wird. Morgan weist auf dieses ambivalente Verhältnis hin, ohne anzuklagen. Das Werk kann somit als subtiles, poetisches Plädoyer verstanden werden, über den Eingriff des Menschen in die Natur und deren fortschreitende Zerstörung nachzudenken.

Claire Morgan
Hold me tightly lest i fall
Bis 2. März 2025