Claire Fontaine eröffnet Ausstellungssaison 2012 im Bozner Museion

Verkohlte Köpfe von etwa 100.000 Streichhölzern bilden den italienischen "Stiefel" – leicht entflammbares Material, das die unsichere Lage des Landes unterstreicht und gleichzeitig auf drohende Katastrophen hinweist. Das ist eine der Installationen, die das Künstlerkollektiv Claire Fontaine im Rahmen der von Letizia Ragaglia kuratierten Ausstellung M-A-C-C-H-I-N-A-Z-I-O-N-I im Museion in Bozen zeigt, mit der am 3. Februar das Ausstellungsjahr 2012 beginnt.

Claire Fontaine wurde 2004 in Paris gegründet. Der Name der Gruppe bezieht sich auf eine französische Marke für Büroartikel. Vieles, was Claire Fontaine macht, erinnert an bereits existierende Kunst. Schließlich bezeichnet sich Claire Fontaine auch als "Ready-Made-Künstlerin", die mit ihren Arbeiten die Figur des Künstlers in Frage stellt, dessen "beliebige Einzigartigkeit" etwa, durchaus vergleichbar mit einer WC-Schüssel oder einer Seifenschachtel der Marke "Brillo" und – natürlich – ebenso austauschbar.

Der politische und soziale Ist-Zustand ist die Grundlage, auf der die Kunst von Claire Fontaine entsteht. Dabei arbeitet das Kollektiv mit einer subtilen Metaphorik und verweist auf Utopisches. In Bozen stellt Claire Fontaine eine Auswahl älterer und neuer Arbeiten vor – Videos, Neonschriften, Installationen und "Maschinen-Skulpturen". M-A-C-C-H-I-N-A-Z-I-O-N-I denkt über den Kapitalismus als ein geschlossenes und irrationales System nach, das darauf aus ist, den Status Quo im allen Mitteln und zu jedem Preis zu verteidigen. Der Titel der Ausstellung bezieht sich auf die "Maschine" als das Wesen kapitalistischen Wirtschaftens, die – laut einer Metapher des Ökonomen Joseph Schumpeter aus dem Jahr 1942 – auf den unaufhörlich arbeitenden Mechanismus von Produktion und Konsum angewiesen ist.

"Untitled" (The Invisible Hand, 2011) ist eine Skulptur, die aus einem newtonschen Pendel besteht, dessen Mechanismus Metallkugeln auf einem Tennisspielfeld bewegt – ein für die untergegangene US-Bank Lehman Brothers entworfenes Antistress-Spiel, das im Internet erhältlich und als Geschenkidee für einen "großen Geschäftsführer" beworben wurde. Ein elektromagnetisches Feld macht aus diesem Gadget, das auf die Lehman-Pleite im Herbst 2008 ebenso verweist wie auf Adam Smiths Metapher einer alles lenkenden "unsichtbaren Hand", ein mit Ironie geladenes Perpetuum mobile – unablässig von einer Seite des Spielfelds auf die andere schwingend, ganz so wie die Konjunkturzyklen des Kapitalismus.

Ökonomische und politische Macht, die Körper und Wünsche kapitalismustauglich ausrichtet – darum geht es in der Neonschrift "Arbeit Macht Kapital", 2004/2008. Die Abfolge dieser drei Begriffe erinnert an jene Kurzsätze, die von den Nationalsozialisten über den Eingangstoren ihrer Konzentrationslager angebracht worden waren, wie "Arbeit macht frei" oder "Jedem das Seine". Der Titel der Neonschrift "Foreigners Everywhere" (Ausländer überall) stammt von einem anarchistischen und antirassistischen Kollektiv aus Turin. Im zweisprachigen Bozen wird dieser Schriftzug in einer deutschen und italienischen Fassung gezeigt.

Die "Ready-Made-Künstlerin" Claire Fontaine setzt in ihren Arbeiten unterschiedliche Elemente en und ergänzt diese durch programmatische Erklärungen in eigener Sache. Bei den Installationen "Lever" und "Untitled (Wrestling Mat)", die sich auf Carl Andres Skulpturen aus den sechziger Jahren beziehen, ist das der Fall. Der Titel "Lever" gehört eigentlich zu einer Arbeit dieses US-amerikanischen Künstlers, die aus 137 gleichen Bausteinen besteht. Claire Fontaine stellt dieses Werk in Bozen nach, umhüllt die Steine aber mit dem Deckblatt der italienischen und deutschen Ausgabe des berühmten Essays "Differenz und Wiederholung" des französischen Philosophen Gilles Deleuze.

"Untitled" ("Westring Mat", 2012) besteht aus einer Gymnastikmatte, über die das Publikum nicht nur laufen kann – auch Gymnastikübungen sind im Rahmen dieser Ausstellung möglich. Diese Arbeit ist mit dem Video "Situation" verknüpft, das auf ein anderes Video mit Anleitungen zum Straßenkampf zurückgreift – beide Arbeiten sind ein deutliche Absage an politische und soziale Passivität.

Das Bekenntnis zur Utopie und die Überzeugung, Kunst könne neue Perspektiven aufzeigen, prägen das Video "The Assistent", 2001, das den Dichter Douglas Park beim Lesen des gleichnamigen Kapitels aus dem Buch "Profanierungen" von Giorgio Agamben zeigt. Diese Arbeit ist auch ein Selbstportrait des Künstlerkollektivs Claire Fontaine. Denn Agambens Assistenten "übersetzen und überbringen die Botschaft der Freiheit, ohne diese jedoch zu verstehen, sie sind Ausländer, ungeeignet, untätig, aber die einzigen, die uns retten können".

"Kunst ist zum Ort für politische Flüchtlinge geworden. Sie bietet Möglichkeiten, zu überleben" – sagt Claire Fontaine in einem Interview in "Texte zur Kunst". Die Einladung an Claire Fontaine, im Museion eine Ausstellung zu machen, ist deshalb auch ein Bekenntnis zum Potential und zum Handlungsspielraum, den politische engagierte zeitgenössische Kunst heute haben kann.

Zur Ausstellung erscheint im Verlag Walter König ein Katalog (italienisch/französisch und deutsch/englisch) mit Beiträgen von Letizia Ragaglia, Hal Foster, Bernard Blistène und John Kelsey.

M -A - C - C - H - I - N - A - Z - I - O - N - I
4. Februar bis 13. Mai 2012