Cinema Italiano 2011 - Neue Filme aus Italien in den deutschschweizer Kinos

26. September 2011 Walter Gasperi
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Nach den erfolgreichen Ausgaben von 2009 und 2010 hat Cinelibre in Zusammenarbeit mit dem Verein Made in Italy bereits zum dritten Mal eine Reihe von fünf neuen, im deutschsprachigen Raum aber weitgehend unbekannten italienischen Filmen zusammengestellt. Von Ende September bis Ende Dezember sind diese Spielfilme in italienischer Originalfassung mit deutschen Untertiteln in zehn deutschschweizer Städten in den Programmkinos und Filmklubs zu sehen.

Die Zeiten als in Italien noch – wie 1975 – jährlich 230 Filme produziert wurden sind längst vorüber. Immerhin hat sich die Filmproduktion aber nach einem Tief in den 90er Jahren mit nur 75 Filmen (1995) im letzten Jahrzehnt auf 100 bis 130 eingependelt. Nur ein Bruchteil davon kommt freilich jenseits der Landesgrenzen in die Kinos. Haben schwungvolle Komödien wie Paolo Virzis "Tutta la vita davanti" oder Ferzan Özpeteks "Mini vagante – Männer al dente" noch Chancen einen internationalen Verleih zu finden, so kann man schwerere Kost wie Marco Bellocchios barockes Faschismusdrama "Vincere" nur auf Festivals sehen.

Rar sind freilich auch Festivalerfolge, die die Marktchancen erhöhen und das Interesse von Verleihern wecken könnten. Eine fixe Größe ist nur Nanni Moretti, Paolo Sorrentino hat dagegen nach seinem eigenwilligen "Il Divo" die Chance genützt mit Sean Penn im Ausland und auf Englisch zu drehen ("This Must Be the Place") und was Matteo Garrone seinem spektakulären "Gomorrha" mit dem in Postproduktion befindlichen "Big House" folgen lässt, bleibt abzuwarten.

Dass aber auch jenseits dieser renommierten Regisseure das italienische Kino durchaus lebt, belegen die fünf Filme, die diesen Herbst durch die Kinos der Deutschschweiz touren. Auf den Spuren von "Gomorrha", aber auch der Mafiafilme eines Francesco Rosi bewegt sich Marco Risi mit "Fortapàsc". Der Titel weckt zwar Erinnerungen an John Fords Western "Fort Apache", doch mit diesem Namen wurde in den 1980er Jahren auch die neapolitanische Vorstadt Torre Annunziata bezeichnet, die vollständig im Griff der Camorra war.

Keine Hoffnung auf ein Happy-End gibt es hier von Anfang an, denn der Journalist Giancarlo Siani berichtet im Voice-Over, dass er in wenigen Minuten ermordet werden wird. Ein dunkler Schatten liegt damit über dem Film, das letztendliche Scheitern ist den Aktionen Sianis, die im Folgenden rückblickend aufgerollt werden, schon eingeschrieben. Als junger Journalist ermittelt er furchtlos gegen die Camorra, fragt nach Verknüpfungen von Verbrechen, Politik und Wirtschaft, sodass er den Mächtigen immer unangenehmer wird.

So steht "Fortapàsc" ebenso in der Tradition amerikanischer Filme von unbestechlichen Journalisten wie "All the President´s Men" wie in der Nachfolge des italienischen Mafiafilms. Überzeugend bettet Risi die Handlung ins realistisch gezeichnete Umfeld ein und zeigt drastisch die Brutalität des Bandenkriegs. Mit den Augen des Protagonisten taucht der Zuschauer in diesem packend inszenierten Thriller in die Welt des organisierten Verbrechens ein, entdeckt Zusammenhänge, erfährt aber auch die zunehmende Bedrohung und Angst hautnah.

Leisere Töne schlägt Federico Bondi an, der in "Mar Nero" von einer jungen Rumänin (Dorotheea Petre) erzählt, die in Florenz eine Stelle als Pflegerin einer verbitterten alten Italienierin (Iliara Occhini) antritt. Schon oft erzählt wurde zwar die Geschichte von zwei gegensätzlichen Figuren, die sich langsam näher kommen, doch wird diese menschliche Komponente hier in einen aktuellen gesellschaftlichen Hintergrund eingebettet.

So fließen in der ruhigen Inszenierung, die ganz auf die beiden Schauspielerinnen vertraut, ganz selbstverständlich auch Themen wie Ost-West-Migration, EU-Erweiterung und – spätestens wenn die beiden Frauen ans Schwarze Meer aufbrechen – die unterschiedlichen Lebensbedingungen in Italien und in Rumänien ein.

Ganz auf ihre von Antonio Albanese und Kim Rossi Stuart wunderbar gespielten Protagonisten konzentriert sich auch Francesca Archibugi in "Questione di cuore". Im physiologischen wie im emotionalen Sinne geht hier ums Herz. Im physiologischen Sinne, weil der Drehbuchautor Alberto und der Automechaniker Angelo in der gleichen Nacht einen Herzinfarkt erleiden und sich im Krankenhaus kennenlernen. Im emotionalen, weil besonders der nach außen immer fröhliche, im Innersten aber unglückliche Alberto danach einen neuen Weg ins Leben finden muss.

Mögen die Themen Krankheit, Liebe, Familie, Freundschaft und Tod auch ernst sein, so ist die Inszenierung doch wunderbar leichtfüßig. Alles Schwere und Tragische wird hier in der sicheren Mischung von Humor mit Gefühl aufgehoben, sodass "Questione di cuore" – nicht zuletzt durch die Einbettung in den quirligen und lichtdurchfluteten römischen Vorort Pigneto – nicht Bedrückung, sondern Lebensfreude verbreitet.

Komödiantische Töne schlagen schließlich Sergio Rubini in "L´uomo nero" und Massimo Venier in "Generazione mille Euro" an. Während sich bei Rubini ein Mann anlässlich seines Besuchs in seinem apulischen Heimatdorf an seine Kindheit erinnert, widmet sich Venier fünf 30-Jährigen, ihren Jobsorgen und ihrem Umgang mit dem Leben – und während Rubini mit viel Humor die Atmosphäre, die Farben, die Charaktere und das Lebensgefühl des Südens einfängt, legt Veneir eine Komödie vor, die am Puls der Zeit ist. – Allein schon das Spannungsfeld dieser beiden Filme vermittelt einen Eindruck von der Vielfalt des italienischen Kinos und dieser Filmreihe.

Trailer zu "Fortapàsc"