Blutrot leuchtet Carmen Pfanners Kraftwerk im Atrium des Vorarlberg Museums. Die durch Schläuche miteinander verbundenen latexierten Textilobjekte strahlen gleichzeitig Kraft und Fragilität aus. Nach außen hin abgeschlossen produziert das Kraftwerk, einem Perpetuum mobile gleich, unablässig Energie aus sich selbst. Eine futuristische Schaltzentrale? Ein geheimnisvoller Organismus? Eine in die Jahre gekommene Industrieanlage? Im Spannungsfeld zwischen Industrie und Handwerk berührt dieses Werk.
Kraftwerk von Carmen Pfanner lädt ein, sich dem 31 Teile umfassenden Objekt zu nähern, es mit allen Sinnen zu erfassen, auch wenn es gleichzeitig eine mystische Distanziertheit ausstrahlt. Kraftvoll steht es im 23 Meter hohen Atrium des Vorarlberg Museums und weckt Assoziationen an einen Industriekomplex oder an eine überdimensionale Musikanlage. Die einzelnen Teile stehen nicht alleine, sondern sind durch Schläuche miteinander verbunden. Bei genauerer Betrachtung entdeckt man verschiedene Formen, die man auf den ersten Blick nicht erwartet: Abdrücke von Pralinen, Spielzeugautos oder Bärenmotive, in Form gegossene Erinnerungen der Künstlerin. Das Verspielte und Zarte hat hier genauso Platz wie die Betrachtung der großen allumfassenden Wundermaschine. Alles ist umhüllt von Latex, einem Material, das bei Tageslicht sehr schnell altert und spröde wird. Um dem vorzubeugen, wurde das Glasdach des Atriums verdunkelt. Die Verletzlichkeit dieser sich seit 2003 entwickelnden Rauminstallation steht im scheinbaren Widerspruch zum Kraftvollen. Angesprochen darauf, ob Carmen Pfanner ihr Werk absichtlich vergänglich gemacht hat, antwortet sie: "So wie ich haben auch meine Werke ein Ablaufdatum." Ihr Werk ist nicht für die Ewigkeit.
Früh begann Carmen Pfanner (*1957), sich für Kreisläufe und Energieflüsse zu interessieren. Als eines von sechs Kindern profitierte sie vom mangelnden Interesse ihrer Brüder an den Elektro-Baukästen, die der Vater verschenkte. Während die Buben lieber am Fußballplatz ihre Zeit verbrachten, erfreute sich die bekennende "Stubenhockerin" an immer neuen Zusammenstellungen dieser didaktischen Schaltkreise. Mit 15 Jahren führte sie ihre Schullaufbahn an die Textilschule Dornbirn. Dort wurde sie für die Akkordarbeit in der heimischen Textilindustrie ausgebildet. Viele Jahre arbeitete Carmen Pfanner in diesem Bereich, an den Abenden suchte sie Ausgleich im freien Arbeiten mit komplizierten Patchwork-Techniken. Bis 1996 war sie als Werkstattleiterin in einem Sozialprojekt tätig und leitete langzeitarbeitslose Frauen zum Nähen an. Danach machte sie sich selbstständig und begann, eigenständige Arbeiten zu produzieren. In diesem Jahr stellte sie auch das erste Mal aus.
Ihre künstlerische Handschrift entsteht weniger durch den individuellen Strich, sondern durch die eigenwillige Kombination textiler Techniken und Materialien. Mit komplizierten Zwickel-Verlegungen und aufwendigen Quilt-Techniken ("Trapunto"), bei denen durch Unterfütterung abgenähter Bereiche reliefartige Erhöhungen entstehen, schafft Carmen Pfanner dreidimensionale Objekte von eigentümlicher Magie. Auch spielt das Naturmaterial Latex eine bedeutende Rolle in ihrem Werk: Das aus Naturkautschuk, einer Baummilch, bestehende Material wird durch Ammoniak flüssig gehalten, teilweise von ihr eingefärbt und wie eine dünne Haut über die Objekte gelegt.
Den "Bauplänen", von denen drei exemplarisch in der Ausstellung gezeigt werden, kommt in Carmen Pfanners Werk eine Sonderstellung zu. Sie sind keine Vorlagen, nach denen gebaut wird, sondern sie stellen vielmehr Möglichkeiten dar, bestehende Kombinationen anders zu denken. Die einzelnen Motive des Kraftwerks werden dafür aus diversen Materialien nachgebaut, spielerisch kombiniert und dem jeweils aktuellen Zustand der Installation angepasst. Allein im Umfeld der aktuellen Ausstellung im vorarlberg museum sind sieben dieser großformatigen Reliefbilder (Assemblagen) entstanden. Nach zahlreichen Ausstellungen hat Carmen Pfanners künstlerisches Hauptwerk mit dem Ankauf für die Museumssammlung seine finale Form gefunden.
Carmen Pfanner. Kraftwerk
12. Juli bis 9. September 2024