In Arbeiten auf Papier, Künstlerbüchern, Skulpturen, Fotografien, Performances und Filmen beschäftigt sich Cameron Jamie seit etwa dreißig Jahren mit Identität und psychischen wie physischen Transformationen des Selbst, mit Prozesshaftigkeit sowie mit der Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur.
Im Jahr 2002 übersiedelte der Künstler aus Hollywood, Kalifornien, nach Paris, wo er bis heute lebt und arbeitet. Weitere Städte, die in seinem Schaffen eine übergeordnete Rolle spielen sind Köln, wo vornehmlich Keramikskulpturen, und Berlin, wo vor allem seine Künstlerbücher entstehen. Sein zeichnerisches Werk befindet sich in einem fortwährenden Entwicklungsprozess und sprengt die Grenzen des klassischen Verständnisses des Mediums.
Jamies freier Zeichnungsprozess und seine Hingabe an das Arbeiten mit dem Stift bilden den Grundstock seines gesamten Schaffens, gemeinsam mit seiner Beschäftigung mit Intuition, Zufall, Schichtungen, Zerstörung und Wiederaufbau der Bilder in seiner Arbeit mit der Linie. Die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Innen und Außen und der Einsatz der Linie für eine inhaltliche und formale Suchbewegung fungieren als roter Faden. Dabei übernimmt die Zeichnung nie die Funktion einer Skizze, sondern entsteht spontan und unwiderruflich als Momentaufnahme der unterbewussten, unmittelbaren Bildfindung.
Bekannt geworden ist Jamie seit den 1990er-Jahren zunächst durch seine Foto- und Filmarbeiten sowie Performances, in denen er sich u. a. mit urbanen Ritualen auseinandersetzte, die sich an der Grenze zu Aggression und Brutalität bewegen. Der Film "Kranky Klaus" etwa gehört einer Serie von Filmen an, die sich mit lokalen, heidnisch beeinflussten Bräuchen und unheimlichen Alltagsmythen beschäftigen, wie etwa die Inszenierungen von Hinterhof-Wrestling-Wettkämpfen oder düstere Halloweentraditionen in den Vororten der Arbeiter- und Mittelschicht von Los Angeles. Masken standen nicht nur in seinem performativen Schaffen lange Zeit im Mittelpunkt, er fand zugleich in der Zeichnung eine Möglichkeit, die Darstellung von Masken als Mittel von Verwandlung und Identitätswechsel zu untersuchen.
Cameron Jamie ist in diesem Zusammenhang in Salzburg kein unbekannter Künstler. Bereits 2002 bereiste er die Region, um sich im Gasteinertal intensiv mit der Tradition des innerhalb Österreichs sehr spezifischen Brauchtums der Krampuspassen und -läufe in der Adventszeit zu beschäftigen. Eine besondere Faszination übten auf ihn die aus Holz geschnitzten Krampusköpfe aus. Nachhaltig beeinflusst wurde Jamies zeichnerisches und skulpturales Werk von den in den 1920er- bis 1950erJahren entstandenen Masken des lokalen Kunstschnitzers Sepp Lang, die von dessen umfangreicher Kenntnis der modernen Kunst, insbesondere dem Werk Picassos, zeugen. Zu dieser Zeit entstand der oben erwähnte Film Kranky Klaus, der, gemeinsam mit Krampusköpfen Jamies und des Gasteiner Kunstschnitzers Max Kössler, unter anderem 2004 im Salzburger Kunstverein gezeigt wurde. Seitdem entwickelte der Künstler vor allem seine Arbeiten auf Papier – Zeichnungen, Druckgrafiken und Künstlerbücher – intensiv weiter. Eine Präsentation dieser wichtigen Werkgruppen stand bislang noch aus.
Mit der Ausstellung Cameron Jamie. Shaking Traces präsentiert das Museum der Moderne Salzburg nun erstmals das breite Spektrum des zeichnerischen Œuvres sowie die experimentellen Versuche des Künstlers, die Möglichkeiten und Grenzen des Arbeitens auf und mit Papier auszuloten. So gehören zu den entsprechenden Werkgruppen nicht nur klassische Tuschearbeiten auf Papier, sondern auch Zeichnungen in Keramik, die zunächst in nassem Ton entstehen und malerisch in zahlreichen Schichten in der Glasur weiterbearbeitet werden. Die Grenzen zwischen Malerei und Zeichnung verschwimmen auch in den Druckgrafiken – etwa den Monotypien und neuerdings den Lithografien des Künstlers.
Die Ausstellung zeigt Jamies Methode des schichtweisen Arbeitens, für das er Tinte, Bleistift, Waschungen, Glasur und sogar Kaffee verwendet und farbige Akzente mit Farbstiften und -kreide, Gouache und zuweilen auch Ölfarbe setzt und verdeutlicht seine Offenheit für das Zusammentreffen von Zufall und Material. Aus dem Nebeneinander von lockeren, kalligrafischen Linien und malerischen Verwischtechniken, von Intimität, Unmittelbarkeit und Körperlichkeit ergibt sich eine vielfältige ästhetische Erfahrung. Darüber hinaus werden die Grenzen zwischen Figuration und Abstraktion sowie die Möglichkeiten von Arbeiten auf Papier ausgelotet.
Mit dieser Ausstellung setzt das Museum der Moderne Salzburg seine Tradition einer intensiven Beschäftigung mit den Medien der Zeichnung und Druckgrafik fort, die sich nicht nur in der Ausstellungsgeschichte seit der Eröffnung der Modernen Galerie und Graphischen Sammlung Rupertinum im Jahr 1983, sondern auch in seiner Sammlung nachhaltig eingeschrieben haben. Zu nennen sind hier Künstlerpersönlichkeiten wie Margret Bilger, Günter Brus, Hans Fronius, Martha Jungwirth, Max Klinger, Oskar Kokoschka, Alfred Kubin, Florentina Pakosta, Karl Rössing, Egon Schiele oder Wilhelm Thöny. Viele Werke beschäftigen sich durchaus auch mit „Dunklen Szenen“, wie eine Ausstellung aus dem Jahr 1992 betitelt war: mit der Intuition, der Psyche und dem Unheimlichen, die sich in der von Jamie praktizierten Innenschau an der Grenze von Figuration und Abstraktion und der Wechselwirkung zwischen dem Menschen und der Natur wiederfinden.
Cameron Jamie.Shaking Traces
Bis 5. Februar 2023
Kuratorin: Tina Teufel