Brillentag bei der Berlinale

Dem 3D-Trend folgte die 61. Berlinale am Sonntag mit Wim Wenders" Hommage an Pina Bausch, Michel Ocelots "Les contes de la nuit" und Werner Herzogs Dokumentarfilm "Cave of Forgotten Dreams", die sich der neuen Technik bedienen, den Blick aber gleichzeitig auf alte Künste richten.

Ein seltsamer Kontrast stellt sich bei Michel Ocelots "Les contes de la nuit" ein, wenn der Franzose die Figuren im planen Scherenschnitt einer Lotte Reininger belässt und einzig beim farbenprächtigen Hintergrund ein Gefühl für Raumtiefe entwickelt. Dieses Spiel mit der Bildproduktion und ihrer Geschichte führt Ocelot aber noch weiter.

Wenn er einen Jungen und ein Mädchen zusammen mit einem Techniker in einem Kino das anachronistisch zwischen zwei Hochhausreihen steht, sechs fantastische Geschichten erfinden und auf die Leinwand bringen lässt, dann ist das nicht nur eine Hommage an die Fantasie und das Kino. Denn bei ihren Geschichten dienen dem Trio immer alte Gemälde, Zeichnungen oder Fotos als Ausgangspunkt für ihre fabulösen Erzählungen über einen Werwolf im mittelalterlichen Burgund, einen Stalljungen in Tibet, einen trommelnden kleinen Afrikaner oder einen Jungen, der im präkolumbianischen Amerika eine Prinzessin vor der Opferung an ein Ungeheuer rettet.

Die episodische Erzählweise erinnert an Ocelots "Kiriku", bezaubernd sind die unterschiedlichen Settings, liebevoll sind die Episoden animiert, glühend ist das Plädoyer für die Liebe, die Musik und die Phantasie sowie die Absage an Materialismus und Macht, doch zu ähnlich sind letzlich diese Geschichten, vor allem aber die Figuren und die Figurenkonstellationen, als dass sich nicht ein Ermüdungseffekt einstellen würde. In einzelnen Portionen wunderbar, fehlt "Les contes de la nuit" zumindest für einen Film, der auch Erwachsene ansprechen soll, der große Atem und auch 3D wird kaum genützt, entwickelt sich die Handlung doch im Vordergrund auf die Seiten und kaum einmal in die Raumtiefe.

Mit dieser arbeitet dagegen Wim Wenders in "Pina" ganz entscheidend. Schon in Vorbereitung befand sich der Film, als Pina Bausch im Sommer 2009 überraschend starb. Neu konzipiert werden musste nun das Projekt, musste von einem Film mit zu einem Film über die große Tänzerin werden. Über die Biographie von Pina Bausch erfährt man in dieser großen Hommage nun nichts, denn Wenders konzentriert sich ganz auf Tanzszenen, in denen er mit 3D das Gefühl erzeugt in einem Theater mit raumtiefer Bühne zu siten.

Ungemein plastisch wirken so die Tänze, die Wenders immer wieder vom Theater in den Alltag überführt: auf eine Wiese, in die Schwebebahn, in ein Fabriksgelände, ein Schwimmbad, an eine Straßenkreuzung oder an den Rand einer Bergwerksgrube. Den Tanz scheint er damit im Sinne Bauschs vom Elfenbeinturm Theater ins Leben zu überführen, ganz entsprechend dem Credo der Tanzpionierin "Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren".

Unterbrochen werden diese nach keinem erkennbaren Prinzip angeordneten Ausschnitte aus Choreographien wie "Café Müller", "Le sacre du printemps" oder "Vollmond" nur durch kurze Statements des Ensembles des Tanztheater Wuppertal, die aus dem Off eingesprochen werden, während man in die unbewegten Gesichter der TänzerInnen schaut.

Bausch selbst ist nur in wenigen Tonbandaufnahmen zu hören und wenigen Filmausschnitten zu sehen, die durch Rahmung in Art eines Guckkastens wieder räumlich in den Hintergrund gerückt werden. Ganz über ihr Schaffen definiert sie Wenders, der sich selbst zurückhält, den Raum der Verstorbenen überlässt und sie in ihren Choreographien weiterleben lässt.

Welch überwältigenden Eindrücke 3D aber wirklich erzeugen kann, sieht man bei Werner Herzogs Dokumentarfilm "Cave of Forgotten Dreams". Schon immer faszinierten den Deutschen extreme Welten und Regionen, für "Cave" durfte er nun im Auftrag des amerikanischen History Channels mit kleinem Filmteam in erst 1994 entdeckte Chauvet-Höhle im französischen Ardeche-Tal und damit mit modernster Technik zu den Ursprüngen menschlicher Bildproduktion vordringen.

In dieser Höhle finden sich die ältesten Malereien der Menschheit und Herzog hält diese aber auch die Enge der Höhle in grandiosen Bildern nicht nur fest, sondern lässt sie in der Dreidimensionalität fast greifbar erscheinen. In seinem Kommentar sinniert er – ohne freilich zu Antworten zu kommen – über das damalige Leben, holt Auskünfte von Archäologen ein und schlägt im Finale einen überraschenden Bogen zur Gegenwart, wenn er in Kontrast zur Eiszeit, die vor 30.000 Jahren in dieser Region herrschte, in ein nahe gelegenes Gewächshaus entführt, in dem das Kühlwasser eines Atomreaktors ein tropisches Klima ermöglicht, in dem sich Krokodile rasch vermehren. Visuell brillant, mal pathetisch und dann wieder witzig im Kommentar, stört einzig die penetrante Musiksauce.