Beyond Observations

Darcy Lange (New Zealand, 1946 – 2005) kehrte 1971 seiner formalen Ausbildung und ersten Karriereschritten als Bildhauer den Rücken und begann mit Film, Fotografie und Video Menschen bei der Arbeit in englischen Fabriken, Bergwerken und Schulen zu dokumentieren. Er sah in diesen Medien eine wirkungs- und sinnvollere Möglichkeit sozialen und politischen Engagements und erschloss damit einem realistischen, sozial engagierten Dokumentarismus in der Tradition von Lewis Hine und den Fotografen der US Farm Security Administration in den 1930er Jahren, Dorothea Lange und Walker Evans, neue Dimensionen.

In Großbritannien, Neuseeland und Spanien führte Lange immer wieder strenge und breit angelegte Studien zum Thema Arbeit durch. Während sich seine Zeitgenossen konzeptuell mit Video auseinandersetzten, hielt er an der "Verantwortung" fest, "Wesen und Wirkung des Realismus weiter zu befragen". Der Beschäftigung mit ArbeiterInnen als Motiv und mit Arbeit als Tätigkeit kam auch sein Bahn brechender Stil ungeschnittener, unvermittelter, anhaltender Echtzeit-Beobachtungen entgegen, der zum Kennzeichen seiner Serie "Work Studies" (1972 – 77) werden sollte. Mit ihr versuchte er, "das Bild der Arbeit als Arbeit, Beruf, Tätigkeit, Schöpfertum und Zeitvernichterin zu zeichnen".

In den ersten medienübergreifenden und vergleichsweise formalen Arbeiten wie etwa "A Documentation of Bradford Working Life" (1974), experimentierte Lange mit den strukturellen Möglichkeiten des Bewegungs- und des Standbilds. Er suchte nach Möglichkeiten, seine Gegenstände so abzubilden, dass sie Anhaltspunkte für die vergleichende Analyse abgaben. Für die genannte Arbeit wählte er vier (von ihm als "Situationen" bezeichnete) Fabriken in Bradford: ein Stahlwerk, einer Wollerzeugung, einen Kolben- und Kolbenringhersteller und ein Versandhaus, in denen er (von ihm als "Studien" bezeichnet) je drei bis fünf ArbeiterInnen dokumentierte. Jede der insgesamt 15 Studien bestand aus einer Videoaufnahme von 10 Minuten Dauer, zwei 16-mm-Filmaufnahmen (von der ersten und letzten halben Minute des Videos) und einem Schwarzweißfoto.

Um die formalästhetischen Unterschiede zwischen diesen Medien herauszuarbeiten, wurden alle parallel und in ein- und derselben Bildkomposition aufgenommen, wobei aber Kamera- und Tontechnik an den Rhythmus der jeweils dargestellten Tätigkeit angepasst waren. Ohne Schnitt oder dramatische Szenenfolgen, ohne Mehrfachaufnahmen oder wechselnde Kameraeinstellungen auskommend, sind Langes Videos selbst ein Abbild der Realität. Sie sind lediglich ein langsamer Beobachtungsvorgang, bei dem die von den jeweiligen Personen in ihrer täglichen Arbeit verrichteten Tätigkeiten mittels langer Einstellungen in Echtzeit aufzeichnet werden.

In seiner Beschäftigung mit dem Thema versuchte Lange alle Hierarchien aufzubrechen oder sichtbar zu machen. Die mit den frühen tragbaren Videogeräten auftauchende Möglichkeit zur Wiedergabe und Aufzeichnung von Live-Feedback, die bei Film und Fotografie nicht gegeben war, legte deren Einsatz als Kritik- und Analysemedium sowie als Katalysator für soziale Veränderungen nahe. Das wird zum zentralen Element seiner "Workstudies in Schools", bestehend aus den beiden Serien "Study of Three Birmingham Schools" (1976) und den späteren stärker strukturierten "Studies of Teaching in Four Oxfordshire Schools" (1977). Lange achtete bei der Auswahl der Institutionen darauf, dass sie unterschiedliche soziale Schichten repräsentierten, und wählte die teilnehmenden Lehrer nach ihren Unterrichtsfächern aus: Kunst, Geschichte, Naturkunde.

Insofern es in diesen Serien um die Arbeit des Unterrichtens geht, handelt es sich um eine Fortsetzung der "Work Studies", wobei die Dokumentation allerdings um die Videoaufzeichnung von Lehrer- und Schülerreaktionen erweitert ist und selbst zu einem integralen Bestandteil des Dokuments wird. Die Videos, vom Künstler als "Recherche" und "Lernprozess" gesehen, werden durch die Ausstellung dieses Prozesses ihrerseits zu Studien der Aufzeichnungsarbeit. Mit diesen Arbeiten versuchte Lange, eine Veränderung für die von ihm dargestellten Personen herbeizuführen und durch die Aufforderung zur kritischen Beobachtung ein radikales Potenzial für gesellschaftliche Veränderungen zu schaffen.

In den späten 1970er Jahren, während der so genannten Māori-Reannaissance, verbündete sich Lange mit dem Kampf von Māori-Aktivisten um ihre Landrechte und entwickelte im Zuge dessen sein ambitioniertes "Māori Land Project" (1977 – 1981). Nach einem Umzug in die Niederlande 1979 arbeitete er mit René Coelho, dem Gründer von Montevideo/Time Based Arts, an einem auf dem "Māori Land Project" beruhenden Programm für das niederländische Fernsehen und mit Professor Leonard Henny vom Centre for International Development Education am Soziologieinstitut der Universität Utrecht an "The Māori Land Struggle". Die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit – eine 30-minütige Fernsehdokumentation, eine dreiteilige soziologische Analyse mit der Universität Utrecht und eine Dokumentation von Lange – wurden 1980 in der Ausstellung "The Land of the Māori" am Van Abbemuseum in Eindhoven und am Internationaal Cultureel Centrum in Antwerpen gezeigt.

Durch Langes Zusammenarbeit mit Henny und dem Victor Jara Collective in der Vorbereitung dieser Ausstellung rückte der Gedanke der durch Fernsehen und Medien ausgeübten Manipulation politischer Strukturen ins Zentrum seiner Arbeit. Ausgehend von Langes Rohaufnahmen (insgesamt 30 Stunden, aufgenommen bei drei Neuseelandreisen zwischen 1977 und 1980), wurden unterschiedliche Fassungen für verschiedene Zwecke erstellt: für drei verschiedene Publikumsgruppen (Fernsehpublikum, Studierende, Museumsbesucher), von drei verschiedenen Produzenten (Fernsehproduzent, Soziologe, Künstler) in drei verschiedenen Institutionen (Rundfunkgesellschaft, Universität, Museum). Dieses medienanalytische Experiment kann als Fortführung von Langes Interesse an "Objektivität" und "Wahrheit" gesehen werden, mit einer Verschiebung des Schwerpunkts von den materiellen und formalen Elementen der verschiedenen Darstellungsmittel hin zu Fragen der Montage, der Publikumsvielfalt und des theoretischen Bezugssystems.

Als Absolvent der Elam School of Fine Arts in Auckland, Neuseeland und am Royal College of Art in London betätigte sich Darcy Lange (1946 – 2005) zunächst als Bildhauer mit großen, abstrakten Hard-Edge-Werken, wandte sich aber schon bald der Fotografie, dem Film und dem Video zu. 1971 begann er unter dem Obertitel "Menschen bei der Arbeit" in englischen Fabriken, Bergwerken und Schulen Filme und Videos zu drehen und fuhr mit dieser Dokumentation arbeitender Menschen auch fort, nachdem er nach Neuseeland zurückgekehrt war. In den späten 1970er Jahren, während der so genannten Māori Renaissance, die zur vollen Etablierung der bikulturellen Politik in Neuseeland führte, schloss sich Lange dem Kampf von Māori-Aktivisten um ihre Landrechte an und entwickelte im Zuge dessen sein groß angelegtes "Māori Land Project" (1977 – 1981). Ab den 1980er Jahren begann er sich zunehmend mit Musik, vor allem dem Flamenco, zu beschäftigen, wobei mehrere Multimedia-Performances mit Musik, Poesie und Kunst entstanden. Er starb 2005 in Auckland.

Darcy Lange

17. April bis 27. Juni 2010