Belligerent Times

Unser noch kurzes Jahrhundert zeigt von Beginn an nicht nur hohe Kriegsbereitschaft, sondern auch dauernd Kriege an vielen Fronten, in vielen Ländern. Wie wirkt sich diese Kriegsorientierung auf die Kultur und das soziale Leben aus? Wie auf die Wissenschaften oder Philosophie, wie auf die Wirtschaft?

Krieg ist vor allem Geschäft. Dann das Mittel der Politik, die im alten Stil im Krieg die ultima ratio sieht. Das ist nur möglich durch die Praxis einer ihn tragenden „Philosophie“, eines Wertesystems, das in der Gewalt ein legitimes, vernünftiges Recht sieht, das Macht oder Stärke bzw. Aufbegehren gegen sie als Rechtfertigung anerkennt.

Dabei ist es gleichgültig, ob dieses Verständnis, diese Rechtfertigung z. B. einem machiavellistischen, pragmatisch formulierten Denken folgt oder einem religiösen. Die egoistischten Motive können leicht kaschiert werden, indem hehre Ziele vorangestellt werden, abstrakte Begriffe wie Freiheit, Selbstbestimmung oder Ehre deutend belegt werden, die die eigene Position, das eigene Handeln positiv erscheinen lassen. Nichts Neues.

Aber Krieg ist nicht gleich Krieg. Es gibt ein Recht auf Verteidigung, das auch in der Charta der Vereinten Nationen als verankert ist (Art. 51). Wann ist ein Krieg ein Verteidigungskrieg? Die USA und ihre Verbündeten führten zur Verteidigung Kriege im Irak, in Afghanistan. Auch die Völker Jugoslawiens führten einen Verteidigungskrieg. Kriege werden geführt gegen Rebellionen, für den territorialen Zusammenhalt. Kriege werden geführt, um staatliche Selbstbestimmung. Israel führt seit seiner Staatsgründung Krieg. Alles rechtens, alles vernünftig, eben die Exekution der ultima ratio.

Nach Jugoslawien hat Europa nun wieder Krieg. Diesmal in der Ukraine. Während überall Gedenkveranstaltungen zum 1. Weltkrieg stattfinden, gescheite historische Deutungen en masse verbreitet werden, wird nun auch wieder in Europa die „Sprache der Tat“ geführt, die des Krieges.

Die Wahrheit sei das erste Opfer des Krieges, heißt es. Das ist eine Verkürzung und Täuschung, weil es glauben machen will, dass vor dem Krieg die Wahrheit gegeben habe. Doch wir müssen zuerst im Plural sprechen. Es gab und gibt keine Wahrheit als alleinige, wie es auch keine allgemeingültige Gerechtigkeit gibt. Und sogar diese relativierten Wahrheiten sind in nicht kriegerischen Zeiten nicht einfach gültig, sondern umstritten. So umstritten, dass schlussendlich das Kriegsdenken sich durchzusetzen vermag, um im aktiven Krieg sich zu beweisen, und alles andere in den Schatten stellt, Lügen straft. Krieg schafft Tatsachen. Die Worte, die Deutungen folgen nach.

Angesichts dessen wird die Dürftigkeit aller nicht kriegerischen Tätigkeit deutlich. Was sollen, könnte man sich fragen, die literarische Produktion, der wissenschaftliche Austausch, das Zelebrieren der Hochkultur, die schönen Konzerte, die weltumspannenden TV-Übertragungen völkerverbindender Massenveranstaltungen denn bewirken im Gegenüber der grausigen Realität der Kriege? Sollen sie filtern, ablenken, verbergen, falsche Hoffnung machen? Brot und Spiele. Dabeisein. Weitermachen. Aber wie? Rückzug ins Private hier, Proteste, bis hin zum Terror, dort? Oder eben mitmachen, mitlaufen?

Sigmund Freud hatte trotz seiner negativen Kultursicht noch eine Hoffnung, eine aufklärerische. Er setzte auf Vernunft. Seine Sicht hat sich als Illusion erwiesen. Denn die Vernunft lässt sich in Dienst stellen. Und der Dienst heißt wieder Krieg. Es brauchte mehr Aufklärung, um der humanen Vernunft folgen und Kriege verhindern zu können.