Basic Research – Notes on the Collection

Das Museum Kurhaus Kleve zeigt vom 29. Juni bis zum 14. September 2014 ein mehrstufiges Ausstellungsprojekt, das die herkömmlichen Formate der Sammlungspräsentation und der temporären Wechselausstellung miteinander verschränkt. Übergeordnetes Ziel einer solchen Symbiose ist es, durch die Konfrontation unterschiedlicher Kontexte inspirierende Sichtweisen zu erzeugen und das Altbekannte ebenso mit neuen Augen zu sehen wie das noch Unbekannte in bestehende Paradigmen einzubinden. Das gilt sowohl für die wunderbaren Bestände des Hauses als auch für die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler, die ihre Position quasi als Reibungsfläche der Gegenwart im musealen Resonanzraum entfalten.

Die Neupräsentation der Sammlung umfasst drei große thematische Bereiche. In einem ersten Schritt wurden, ausgehend von der spätgotischen Skulptur im Katharina von Kleve-Saal, die Bestände der Renaissance und des Barock in einem räumlichen Farbklang von dunklem Schiefer, Ochsenblutrot und Tannengrün derart geordnet, dass sowohl inhaltliche Zusammenhänge zwischen den Gruppen der Bildnisse, der Landschaftsdarstellungen und des Kunsthandwerks ablesbar wurden als auch eine raumbezogene formale Stimmigkeit entstehen konnte. Auf diese Weise scheint die Geschichte der Herzöge von Kleve oder des brandenburgischen Statthalters Johann Moritz von Nassau-Siegen ebenso auf wie die kunsthistorischen Kontexte der Hauptwerke etwa von Jan Baegert, Arnt van Tricht oder Govaert Flinck.

Der zweite Schritt widmet sich dem Werk von Joseph Beuys, das gemeinsam mit dem Nachlass von Ewald Mataré zum identitätsstiftenden Bestand des Hauses gehört und das sich jetzt erstmals in einer Abfolge von fünf zusammenhängenden Räumlichkeiten entfaltet. Den Auftakt bildet das Vestibül des ehemaligen Friedrich-Wilhelm-Bades mit der Skulptur der "Badewanne" (1961/1987) und Photographien von Gerd Ludwig, die Beuys in großer Nähe während einer Reise 1978 an den Niederrhein zu den Orten seines Ursprungs zeigen. Es folgt der Energieraum des Ateliers, das der Künstler von 1957 bis 1964 nutzte und das heute eine Vielzahl von Arbeitsinstrumenten und Materialien enthält, die den Laborcharakter des Studios betonen.

Ebenso zu sehen sind hier Photographien von Fritz Getlinger, die Beuys in diesem Raum bei der Arbeit am öffentlichen Auftrag eines "Ehrenmales für die Gefallenen beider Weltkriege" zeigt und mit denen er sich erfolgreich um eine Professur an der Kunstakademie Düsseldorf bewarb. Ein konzentriertes Kabinett mit Zeichnungen der zumeist 1950er Jahre schließt sich an und mündet in einen Saal, in dem unter anderem das vierteilige Hauptwerk "Ohne Titel (Mein Kölner Dom)" von 1980 präsentiert wird. Im darüber liegenden Geschoss finden sich dann die frühen Gips-Skulpturen, Entwürfe und Modelle der 1940er und 1950er Jahre, die in dieser Dichte und Qualität nur im Museum Kurhaus Kleve zu sehen sind.

Der dritte Schritt der Sammlungsneupräsentation umfasst insbesondere die photographischen und skulpturalen Werke der Gegenwartskunst, die in den großzügigen Räumlichkeiten der oberen Kursäle präsentiert werden. Hier finden sich sowohl signifikante Arbeiten von Tacita Dean, Andreas Gursky, Candida Höfer, Axel Hütte, Thomas Ruff, Thomas Struth und Jeff Wall als auch die beiden raumdominierenden Setzungen von Paloma Varga Weisz im linken und Stephan Balkenhol im rechten Ausstellungsbereich. Auch die beiden Arbeiten von Isa Genzken, denen der Titel für das Gesamtprojekt "Basic Research" entlehnt wurde, haben hier ihren Platz.

Ebenso in diesen Zusammenhang gehören die spektakuläre Neuhängung von "Klever Raum I und II" von Ulrich Erben in der sogenannten Pinakothek als auch die Präsentation der kleinformatigen, aber hochkarätigen Bestände der Avantgarden der 1960er und 1970er Jahre im vorderen Gebäudeteil, mit denen der Prozess der Sammlungsneupräsentation im Februar 2014 eingeleitet wurde. In dieses überaus vielgestaltige Referenzgewebe wurden gegenwärtige Künstlerinnen und Künstler eingeladen, ihre Sicht der Dinge im Sinne von Anmerkungen, eben "Notes on the Collection", zu artikulieren. Die Basis dafür bildete der Schweizer Künstler Franz Gertsch (*1930), der dem Haus seit langer Zeit eng verbunden ist und der jetzt mit dem fulminanten Zyklus der "Jahreszeiten" (2007-2011) in Erscheinung tritt. Diese vierteilige malerische Meditation über Werden und Vergehen definiert den enormen Raum der sogenannten Wandelhalle eindringlich und fungiert zugleich als geistiger Spiegel der Veränderungen der Natur vor den Fenstern im Park.

Der amerikanische Künstler Jack Pierson (*1960) ist einem internationalen Publikum gut durch seine "word pieces" bekannt, Wortskulpturen aus gefundenen Buchstaben des öffentlichen Raumes, mit denen er Sentenzen formt, die sich mit emotionaler Dringlichkeit im Bewusstsein des Betrachters behaupten. Für das Museum Kurhaus Kleve hat er eine Trias entworfen, die sich aus den Aussagen "False Gods", "A Dead Soldier" und "His Eye is on the Sparrow" bildet und sowohl tagespolitische als auch religiös-philosophische Sinnfragen assoziiert.

Der lange als "Fallensteller" bekannte Künstler Andreas Slominski (*1959) ist hier mit drei großformatigen "Garagen-Bildern" vertreten, die voller Hintersinn die Mechanismen bildlicher Repräsentation befragen. Im gleichrangigen Nebeneinander applizierter Hinweise, Signets und Schilder wird zum einen die Botschaftslosigkeit heutiger Kunst scheinbar eins zu eins vor Augen geführt. Zum anderen spielt Slominski mit dem hehren Anspruch der ungegenständlichen Malerei, erklärt mehr oder weniger banale Tore zum Bildträger oder zum Bild selbst und lockt so den Betrachter wiederum in eine reflexiv um sich selbst kreisende Wahrnehmungsfalle.

Im doppelgeschossigen Raum der oberen Etage verstärken die gewebten Medien-Tapisserien von Margret Eicher (*1955) ganz bewusst die Zweifel an jeglicher Bild-Realität. Die tradierten Muster höfischer Darstellung nutzt sie dabei wie eine Folie, die mit zeitgenössischen Inhalten gefüllt wird und piktoriale Sequenzen des kollektiven Bewusstseins an die Ehrbarkeit des Gobelins bindet. Ob dabei Vermeers "Lob der Malkunst" oder Lifestyle-Diven die Vorlage bilden, ist hier nicht mehr wichtig; was zählt, ist digitale Ekstase.

Der in Brüssel lebende Künstler Yves Zurstrassen (*1956) hingegen ist ein bekennender Verfechter analoger Malerei. In seinen "Pattern Paintings" schichtet er diverse Referenzsysteme der ornamentalen, der gestischen und der geometrischen Abstraktion übereinander und strukturiert sie durch Raster, Punkte und Sterne. Die so entstehenden bildlichen Hybride zeichnen sich gleichermaßen durch eine hohe sinnliche Qualität der Oberflächen wie durch das Aufscheinen der zugrundeliegenden Paradigmen aus.

Auch der bei Berlin lebende Künstler Anton Henning (*1964) versteht sich als Vollblutmaler und läutert zugleich die Wucht dieser Bestimmung durch die Adaption historischer Sujets und Stimmungen. In der zitierten Manier des 19. Jahrhunderts buchstabiert er die Gattungen des Stilllebens, des Interieurs oder des Akts nach und verbindet sie zu komplexen Rauminstallationen voll synästhetischer Empfindungen. Im Wechselspiel von dunkler Wand und selbstleuchtenden Bild-Objekten hat er für das Museum Kurhaus Kleve einen hochenergetischen Raum geschaffen, der die Kur-Klischees der Salonmalerei selbstbewusst unter Strom setzt.

Der in Rees lebende Bildhauer Thomas Kühnapfel (*1966) verbindet zwei Elemente, die gemeinhin als unvereinbar gelten: Stahl und Luft. Mit Hilfe von enormem pneumatischem Druck bringt er verschweißte Stahlplatten zu überraschender skulpturaler Entfaltung und lotet dabei das Potential von Prozess und Ergebnis, von Planbarkeit und Eigendynamik in spannungsvoller Konzentration aus. Im neuen Innenhof zwischen dem Katharina von Kleve-Saal und dem Joseph Beuys-Westflügel errichtet er auf diese Weise seine "Rising Sculpture Big in Japan (Tom Waits)". Die damit vollzogene Intervention in eine neu geordnete Sammlung verbindet als geistige Grundhaltung alle der geladenen Künstlerinnen und Künstler und verleiht der musealen "Grundlagenforschung" die notwendigen Schübe an Intensität und Aktualität.


Basic Research – Notes on the Collection
29. Juni bis 14. September 2014