Anita Witek. About Life

Die österreichische Künstlerin Anita Witek schöpft für ihre Arbeiten aus der Bilderwelt der Gebrauchsfotografie. Sie findet ihr Material dabei in historischen wie aktuellen Magazinen genauso wie auf Werbeplakaten. Diesen Rohstoff unterzieht sie einer kritischen Analyse, befragt die Bilder auf Vordergrund und Hintergrund, entfernt zentrale Motive. Sie dekonstruiert Magazinseiten und Werbeanzeigen und somit auch einen Aspekt unserer visuellen Kultur. Das Subjekt oder Objekt, das im Zentrum der fotografischen Aufmerksamkeit stand, wird entfernt.

Was für Anita Witek von Interesse ist, sind die Kulissen, Versatzstücke, die wiederkehrenden Elemente in Bildarrangements – ein möglicher kollektiver Bildhintergrund. Mit einer Schere oder einem Messer legt die Künstlerin diese vermeintlich zentralen Bereiche frei, seziert die kommerzielle Fotografie. Einer Bildhauerin gleich, löst sie aus dem Rohmaterial neue Formen heraus. Das dabei entstandene Material dient Witek als Bausatz für ihre Montagen. Im Gegensatz zur Collage, bei der die Elemente aufeinandergeklebt werden, legt Anita Witek die Teile in unterschiedlichen Arrangements übereinander, um sie anschließend abzufotografieren. Ein Zustand wird fotografisch fixiert, die einzelnen Elemente sind anschließend wiederverwendbar für neue Konstellationen. Nur im fotografischen Abbild ist die von der Künstlerin erschaffene Welt existent, in der Realität ist sie Vergangenheit.

Die Bilder, die Anita Witek erschafft, eröffnen, wie bei der großen Serie "Ordinary Objects Larger Than Life" (2009/10) bühnenhafte Räume. Diese Bilder sind trügerisch, verführen mit architektonischen Versatzstücken wie Geländer, Stiegen oder Bodenplatten in vermeintlich sichere Ecken, die sich im nächsten Augenblick als Schanzen ins Nichts offenbaren. Original und Montage lassen sich auf den ersten Blick nicht immer unterscheiden. Lichtfelder und Schattenseiten werden zu Raumteilern und machen die Betrachtung zur vielschichtigen Herausforderung: Die Absenz eines zentralen Bildmotivs und die vielfältigen Möglichkeiten innerhalb der Serie irritieren. Anita Witek ist aber nicht an einer Lösung interessiert, vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Mithilfe der Fotografie erweitert die Künstlerin ihren Gestaltungsspielraum ins Unendliche.

Lifestyle- und Modemagazine dienen für die Dia-Installation "Retour en forme" (2008) als Ausgangsmaterial. Die einzelnen Blattschichten berühren sich scheinbar flüchtig, fast zärtlich, die Fragilität der Konstruktion ist sichtbar. In der Endlosschleife der Zweikanal-Dia-Installation fließen die Bilder ineinander. Der üblicherweise schnelle Konsum der massenproduzierten Unterhaltungsbilder weicht der meditativen Betrachtung der offenen, leeren Stellen. Die Gestalt zeigt sich als durch den Umriss exakt definierte Absenz. Die Leerstelle wird zur Projektionsfläche.

Mit der Werkgruppe "Es ist so wie es scheint" (2015/16) reflektiert Anita Witek einmal mehr die Scheinwelt der Bilder aus Unterhaltungsmedien. Auch wenn nichts so ist wie es scheint, geben wir uns immer wieder gerne der Illusion hin. Aus von Funktion und Bedeutung befreiten Bildteilen baut die Künstlerin neue Fotomontagen, setzt die Arbeit daran aber fort. Anita Witek bearbeitet nun ihre eigenen Fotografien mit der Schere und isoliert einzelne Elemente: Die Fotografien erhalten Objektcharakter. Die räumliche Umgebung durchdringt das Fotopapier, die Realität perforiert erneut das Gegebene. Im Gegensatz zu vorangegangenen Werkgruppen sind diese Aufnahmen bei natürlichem Licht entstanden, was sich in Reflexionen des Sonnenlichts bemerkbarund die verschiedenen Realitätsebenen sichtbar macht.

Mit dem Entschluss installativ in den Raum zu gehen, wird Anita Witeks Arbeit zur Skulptur. Das Ausgangsmaterial – hier bedient sich die Künstlerin auch an großformatigen Werbeplakaten – enfaltet sich in drei Dimensionen. Das bislang bloß imaginierte räumliche Erlebnis wird durch das Durchschreiten zur tatsächlichen Erfahrung. Der festgelegte Standpunkt ist aufgehoben, Blickpunkte zur Betrachtung gibt es unzählige. Wie schon in der Serie "Ordinary Objects Larger Than Life" verunsichert Anita Witek unsere Sehgewohnheiten hinsichtlich des Fotografischen. Ähnlich der kubistischen Analyse der Malerei und Skulptur, zerlegt die Künstlerin das fotografische Dispositiv, hebt die eindeutige Perspektive auf.

Anita Witeks künstlerische Auseinandersetzung mit vorhandenem Bildmaterial, mit den Bildhintergründen, öffnet unser Betrachtungsspektrum dem Fotografischen gegenüber. Die manuell bearbeitete, dekonstruierte Fotografie wird bei Witek zum bildhauerischen Material, um nach der Montage wieder zur Fotografie, zur erweiterten Fotografie zu werden – virtuose Zirkulation.


Anita Witek. About Life
22. Januar bis 22. Mai 2016