Am Rand der Welt

Thomas Arslan schickt in seinem bildstarken Western "Gold" eine Gruppe deutscher Auswanderer auf einen Treck durch die Wildnis Kanadas. Fern der modernen Welt scheint auch das Dorf auf der nordrussischen Kola-Halbinsel, in dem Boris Khlebnikovs "A Long and Happy Life" spielt, zu liegen, doch der Konflikt der hier ausbricht, ist ebenso aktuell wie zeitlos.

Nachdem Thomas Arslan mit "Im Schatten" eine meisterhafte Variation der Gangsterfilme von Jean-Pierre Melville gelang, verbindet er in "Gold" den Stil der Berliner Schule mit einer Westerngeschichte. So einfach wie der Titel ist auch die Erzählweise. Ganz auf eine Gruppe von sieben Deutschen, die sich 1898 auf einen über 2500 Kilometer langen Treck durch Kanada zur Goldgräberstadt Dawson machen, konzentriert sich der Film. In ruhigem Rhythmus wechseln Landschaftstotalen, die von der eindringlichen Musik von Dylan Carlson begleitet werden, mit Szenen innerhalb der Gruppe.

Keine dramatischen Szenen baut Arslan auf, konzentriert sich auf alltägliche Arbeiten, aufs Reiten, sich langsam aufbauende Konflikte innerhalb der Gruppe und sich sukzessive steigernde äußere Gefahren. Bald wird klar, dass der Führer selbst die Route nicht kennt, ein Wagen muss zurückgelassen, ein Pferd, das zusammenbrichtm erschossen werden, und nur der Zuschauer weiß, dass sich auch zwei Cowboys auf der Verfolgung eines Mitglieds des Trecks befinden.

Nur wenig wird gesprochen, kaum etwas erfährt man über die Biographie der Auswanderer. Statt zu psychologisieren lässt Arslan seine Figuren sich über ihre Handlungen definieren. Nie kommt hier Hektik auf, jeder Schnitt ist überlegt gesetzt. In seiner entschlackten und entschleunigten Erzählweise, die dem Zuschauer viel Zeit zum Schauen und Atmen lässt, steht "Gold" ganz in der Nachfolge der Western eines Budd Boetticher und erzählt zuerst und vor allem von dem, was er zeigt: von der sich ändernden Landschaft, den Entbehrungen und Anstrengungen der Reise, der Zeit, die nötig ist, um einen Weg zurückzulegen, wie sich unter den Strapazen die Gruppe langsam zersetzt und sukzessive dezimiert wird, aber auch wie sich ein Mann (Mirko Mandic) und eine Frau (Nina Hoss) durch die gemeinsame Bewältigung von Gefahren ganz langsam näherkommen.

Während Arslan sich von einem Buch über den Klondike-Goldrausch mit Fotos und Tagebuchauszügen zu seinem Film inspirieren ließ, schwebte Boris Klebnikov mit "A Happy and Long Life" zunächst ein Remake von Fred Zinnemanns "High Noon" vor. Wie "Gold" spielt auch sein Film in einer idyllischen Landschaft mit warm leuchtenden Herbstwäldern und einem klaren Fluss. An diesem hat der junge Sascha eine Kolchose übernommen und versucht mit seinen Arbeitern den landwirtschaftlichen Betrieb wieder in Schwung zu bringen.

Nun aber fordert die Bezirksbehörde die Rückgabe der Landwirtschaft, deren Übergabe einst nur per Handschlag vereinbart wurde. Weil man Sascha dafür eine hohe Entschädigung zahlen will, stimmt er bald zu, doch schwenkt er um, als seine Arbeiter ihn auffordern den Betrieb weiter zu führen. Bald zeigt sich aber, dass auch bei diesen Eigeninteressen größer als Gemeinsinn sind, fordern von Sascha Geld oder machen sich mit dem reparierten Traktor aus dem Staub. Schritt für Schritt lässt Khlebnikov so seinen aufrechten Protagonisten sich in eine immer aussichtslosere Situation manövrieren. Wie der von Gary Cooper gespielte Will Kane in "High Noon" den Gangstern, so steht Sascha am Ende allein zwei Beamten und einem Polizisten gegenüber, doch klein beigeben will er jetzt nicht mehr.

Wie das den Film eröffnende idyllische Landschaftsbild in scharfem Kontrast zur anschließenden Einstellung aus dem Büro der Behörde steht, in der die Beamten mit Anzug und Krawatte sich hinter ihren Computern förmlich verschanzen, so lässt sich "A Happy and Long Life" - bitter ironisch ist der Titel – nicht auf eine filmische Form festnageln. Der Statik der Büroszenen steht die Dynamik einer sich daran anschließenden Brandlöschung gegenüber, bei der der Zuschauer mit bewegter und nah geführter Handkamera direkt ins Geschehen versetzt wird. – Uneben, aber immer wieder auch aufregend ist dieser Film in seinen Brüchen, in denen sich auch ein Unbehagen mit den und ein Aufbegehren gegen die Entwicklungen in der russischen Gesellschaft äußert.