Alles auf die Spitze treiben - Ruth Biller, Wolfgang Bleier und Alfred Graf im Quadrart Dornbirn

Die aktuell im Quadrart Dornbirn laufende Ausstellung „Geklöppelt werden Sternenbilder“ ist ganz dem Thema „Spitze“ gewidmet. Die Idee zu dieser im Rahmen der Serie „Auf Einladung“ laufenden Gruppenschau stammt von der 1959 in Singen geborenen und heute in Berlin lebenden und arbeitenden Malerin Ruth Biller. Die Künstlerin war vom 1. November 2022 bis 31. Januar 2023 auf Einladung der Berufsvereinigung Bildender Künstlerinnen und Künstler Vorarlbergs im Atelier neben dem Palais Thurn & Taxis in Bregenz als Artist in Residence zu Gast. Im Zuge dieses dreimonatigen Aufenthalts im Ländle hat sie sich unter anderem dem Thema Spitze, speziell der aus Lustenau angenähert. Mit der Idee, sich künstlerisch eingehend auf das Motiv der „Spitze“ einzulassen, ist sie dann an ihren Künstlerkollegen Alfred Graf herangetreten, der in der Folge die Ausstellung im Quadrart Dornbirn als Künstlerkurator organisierte. Graf war von der „Spitzen“-Idee spontan angetan und lud mit Wolfgang Bleier zudem einen Schriftsteller ein, sich sprachlich auf diesen Gegenstand einzulassen.

Bildsprache und Sprachbilder

Alfred Graf dazu: „Wolfgang Bleiers Wort- und Satzschöpfungen haben für mich etwas sehr Bildhaftes. Bilder entstehen bekanntlich durch den Sehprozess ohnehin ausschließlich im Kopf.“

Von dem in Wiener Neustadt als Buchhändler lebenden Vorarlberger Autor, Jahrgang 1965, sind mehrere Texte zum Thema, ausgedruckt und wie Bilder gerahmt, in der Ausstellung vertreten. Im Mittelpunkt dabei sein Haupttext „Für den Schnee“. Schnee besteht ja aus winzigen Eiskristallen und hat damit viel mit „Spitzen“ zu tun. Wie von Bleier gewohnt, handelt es sich bei diesem Prosastück um einen über alle Maßen poesievollen Text, bei dem unzählige, in alle Richtungen gehende Gedankengänge lose aneinandergereiht sind, aber immer wieder die Kurve zurück zum Hauptmotiv, dem Schnee, kratzen. Beispielsweise heißt es da:

„… Schneekristalle werden geklöppelt; das ist eine Arbeit für Engel. Im Sommer nähte ich ein Kleid von Löwenzahnsternen, jetzt nähe ich eines von sechseckigem Schnee und Spinnennetzen. Am Fest Mariaschnee beteten die Brüsseler Spitzenklöpplerinnen, daß ihr Werk weiß wie Schnee bleibe. Wer schuf die Holunderblüten, ihr unbegreifliches Weiß? Fadenstiche in die Luft: Nähe, nähe, Wind und Wetter! Der Kirchturm verschwindet im Nichts. Wir wohnen in Gärten des Lichts. Wir sind Eispflanzen am Fenster, Farne: Mondraute, Gewöhnlicher Tüpfelfarn, Engelsüß; wir sind Maschinenstickerei. Ich habe ein Firmament, das ich am Himmel befestige. Vergleiche ich mich mit Schnee, bin ich ein grober Klotz ...“

Wolfgang Bleiber untertitelt „Für den Schnee“ mit „Ein Epitaph“. Ursprünglich verstand man unter „Epitaph“ eine Grabesinschrift. Später ein Kunstwerk, das zum Andenken an jemand geschaffen wird. Wie viele Pflanzen und Tiere ist in unseren Breiten auch der Schnee vom Aussterben bedroht. Dieser Text könnte ergo ein Gedächtnismal dafür sein. Jedenfalls hat Kurator Alfred Graf auch den Titel zu dieser Ausstellung „Geklöppelt werden Sternenbilder“ aus diesem „Epitaph“ entlehnt.

Erforschen und reflektieren

Fundierte Nachforschungen vor Ort und in der Literatur sind zentrale Voraussetzungen im Schaffen von Ruth Biller, bevor es zu konkreten Niederschlägen in Form von malerischen Arbeiten auf Leinwand und Papier oder in anderen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten kommt. Aus der Verarbeitung dokumentarischer und eigener Eindrücke choreografiert sie eigene Bildserien und Werkfolgen. In einer Beschreibung ihres Vorgehens heisst es: „Ruth Biller taucht ein, archäologisch, forscherisch, oder mit der Kamera, um zum Ausgangspunkt vorzudringen. Sie spürt der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen nach und sucht dem aus verschiedenen Zeit- und Seinsebenen zusammengesetzten Blick, der immer nur ein Augen-Blick ist, Dauer zu verleihen. Eine schöne Oberfläche wird fragmentiert, Körper und Gesten aus ihrer Zeit gerissen und versetzt in eine erfundene – fließende Räumlichkeit.“ (Aus „Künstlerisches Schaffen als seismografisches Handeln“, 2023, Kulturring Berlin)
Neben Arbeiten, in denen sie das Thema „Spitze“ mit anderen Motiven mit Öl auf Leinwand malerisch kombiniert, zeigt sie auch Produzentinnen von Spitze, Klöplerinnen, in eigenwilligen, expressiven, ebenfalls in Ölfarben gehaltenen Porträts. Dass bei kunsthistorisch Interessierten hier eventuell Assoziationen zu Jan Vermeer van Delft (1669 bis 1670) evident werden könnten, liegt auf der Hand, stammt von diesem holländischen Barockmaler mit „Die Spitzenklöpplerin“ doch das zweifelsohne berühmteste aller Bilder dieses Genres. Bei Wikipedia wird dieses Werk beschrieben: „Im Zentrum des Bildes sitzt ein junges Mädchen an einem Arbeitstischchen, das eng an eine leere Wand gerückt ist. Sie trägt eine hellgelbes Kleid mit einem großen weißen Spitzenkragen, in der linken Hand hält sie zwei Klöppel, mit der anderen sticht sie vorsichtig eine Nadel in das flache Kissen, auf dem sie an der Spitze arbeitet. Auf einem kleinen Holzkästchen neben ihrer Rechten liegt griffbereit ein Häufchen Klöppelnadeln, das Seidengarn wird in einem kissenartigen Behälter aufbewahrt, aus dem weiße und rote Fäden geschmeidig herausfließen.“

Das Reisen durch „Geklöppeltes“ betrachten

Kurator Alfred Graf erforscht seit Jahrzehnten bildnerisch die Sedimente und Gesteinsformationen von Landschaften in allen Teilen der Welt. Auf seinen Reisen sammelt er Erden, Sande und Gesteine, die er mit Wachsen aus denselben Regionen bindet und zu materialintensiven Bildkomplexen und Objekten verarbeitet. Bei Graf erhält der traditionelle Begriff "Landschaftsmalerei" eine gänzlich neue Bedeutung. Die Landschaft ist für ihn nicht allein Motiv sondern zugleich auch Lieferantin des Ausgangsmaterials für seine künstlerische Arbeit. Im Quadrart Dornbirn zeigt er unter anderem Körperabdrücke, die er in landschaftlichen Böden hinterlassen hat, sowie auch Bildserien, in denen „Spitzen“ in allen möglichen visuellen Ausprägungen vorkommen. Graf: „Mit dem Entschluss, diese Ausstellung der Spitze zu widmen, begann ich, ‚meine‘ Welt auf Reisen durch Geklöppeltes zu betrachten.“ So zupfen etwa in Sri Lanka flinke Finger die Spitzen des Teestrauches ab, in der Türkei spitzelt zartes Grün aus Knospen, in Rumänen blitzen scharfe Spitzen wie Waffen auf Zäunen, und daheim gebe es Kirchturmspitzen, Bergspitzen, spitze Federn im Vogelflug und vieles andere.

Auf Einladung #10 – „Geklöppelt werden Sternenbilder“
Ruth Biller, Wolfgang Bleier, Alfred Graf
Kurator: Alfred Graf
Bis 4. Februar 2024
Do, Fr 17-19, Sa 16-18, u.n.V.