Alexey Brodovitch – Der erste Art Director

Alexey Brodovitch ist einer der grossen Pioniere moderner Grafik. Seine Erfindungen im Zusammenspiel von Schrift und Fotografie waren wegweisend, sein Einfluss auf das Layout der Gegenwart kann nicht überschätzt werden. Das Museum für Gestaltung Zürich zeigt mit über 250 Objekten das Gesamtwerk Brodovitchs, der die Gestaltung der Modemagazine und -fotografie revolutionierte.

Brav gerahmte Studiobilder, klassisch gesetzte Textblöcke – bis Anfang der dreissiger Jahre sind Magazine punkto Gestaltung wenig innovativ. Dies änderte sich, als die Chefredakteurin des weltbekannten Modemagazins Harper’s Bazaar auf Alexey Brodovitch (1898–1971) aufmerksam wird und ihm den Posten des "Art Directors" schafft. Die Arbeit des Russen verändert ab diesem Zeitpunkt die Gestaltung des Modemagazins radikal. Er schält das Spezifische einer Fotografie heraus und schliesst daraus Konsequenzen für sein Layout. Viele seiner innovativen grafischen Strategien verstärken die architektonischen Aspekte des Bildes und betonten damit dessen dynamische Eigenschaften. Brodovitch schafft intuitiv eine Reihe von harmonischen Kompositionen, die den "Fluss" des Layouts befördern. Das Heft wird so zu einer grafischen Erzählung, die immer wieder Überraschungen und Entdeckungen ermöglicht: Ein Magazin wie ein Film auf Papier. In Alexey Brodovitch folgen die Besucherinnen und Besucher den Spuren des ersten Art Directors und Pioniers der modernen Grafik. Die Ausstellung ist chronologisch gegliedert und zeichnet mit Plakaten, Lithografien, Fotografien, Filmen, Mode und Magazinen die kometenhafte Karriere des russischen Gestalters nach. Das Museum für Gestaltung Zürich hat über die letzten acht Jahre die weltweit umfassendste Sammlung an Werken von Alexey Brodovitch aufgebaut, die es nun erstmals präsentiert.

Alexey Brodovitch wächst in einer wohlhabenden Familie in Russland auf. Nach der russischen Revolution emigriert er nach Paris, wo er sich vorerst als Bühnenmaler durchschlägt. 1924 gewinnt er aus dem Nichts den Plakatwettbewerb des alljährlichen Balls der russischen Künstlervereinigung und lanciert damit seine steile Karriere. Noch nie gezeigte Werke, Dadafilme von Man Ray, Fernand Léger und Hans Richter und eigens für die Ausstellung kreierte Animationen geben Einblick in die Künstlerströmungen in Paris und Brodovitchs ersten Jahre als Gestalter.

1930 wird Brodovitch eingeladen, in den USA die neuen Techniken, die er in Paris erlernt hat zu unterrichten. Hier kuratiert er auch die Ausstellung New Poster, die Arbeiten vieler europäischer, aber auch amerikanischer Plakatkünstlerinnen und -künstler vereint. In der Zürcher Ausstellung sind daraus absolute Highlights der hauseigenen Plakatsammlung zu sehen, Schlüsselwerke von A.M. Cassandre, Jean Carlu oder Herbert Matter.

Parallel zu seiner Arbeit bei Harper’s Bazaar führt Brodovitch eine Meisterklasse, das Design Laboratory. Hier "lehrt" Brodovitch nicht wirklich, sondern überträgt den Studierenden die Verantwortung für ihre eigene kreative Entwicklung. Einer, der Brodovitchs Forderung nach ständiger Innovation am besten umsetzt, ist der Fotograf Richard Avedon. Brodovitch verschafft ihm bald erste Aufträge für Harper’s Bazaar und gemeinsam beginnen die beiden, das Modemagazin an sich zu revolutionieren: Es entstehen Doppelseiten mit filmischen Bildgeschichten, grotesken Massstabsverzerrungen oder poetischen Spiegelungen. Die beiden zeigen nun Mode in einem neuen, dokumentarischen Stil. Models wie Audrey Hepburn oder die legendäre Dovima werden im Rausch der Grossstadt oder in schicken Nachtclubs fotografiert. Mit solchen Bildfindungen leisten die beiden Pionierarbeit für einen Stil impressionistischer Modefotografie, der perfekt mit dem Bild übereinstimmt, welches die moderne Frau um 1950 zu werden träumt. Rund ein Duzend herausragende Modekreationen von 1935 bis 1955 aus der Swiss Textile Collection ergänzen die Schau sinnlich und atmosphärisch.

Das Zusammenspiel von Brodovitchs grafischem Auge und Richard Avedons einzigartigem Zugang zum Porträt findet mit Observations im Jahr 1959 einen Höhepunkt. Dieses Fotobuch ist nicht nur ein bedeutendes Werk in der Geschichte des Mediums, sondern bildet auch den Startpunkt für Avedons weitere Entwicklung und dessen aufkommende Faszination für gesellschaftliche Brüche, fernab von Modebusiness und Glamour. Nach der Veröffentlichung von Observations gingen Brodovitch und Avedon getrennte Wege: Brodovitch verfiel seiner Alkoholsucht und wurde bei Harper’s Bazaar entlassen, in der Folge trat er kaum noch als Gestalter in Erscheinung. Avedon erweiterte sein Werk um sehr persönliche und berührende Portraits von Stars wie Marilyn Monroe oder Charlie Chaplin und vielen anderen, die als Leihgabe des Museum Brandhorst / München die Ausstellung abrunden.

Alexey Brodovitch – Der erste Art Director
12. Februar bis 20. Juni 2021