Ai Weiwei – Evidence

Trotz aller unfassbaren Anfeindungen in seinem Land hat sich Ai Weiwei entschlossen, seine weltweit größte Einzelausstellung im Martin-Gropius-Bau, in Berlin durchzuführen. Auf 3000 qm in 18 Räumen und im spektakulären Lichthof zeigt er Werke und Installationen, die eigens für den Martin-Gropius-Bau entstanden oder noch nie in Deutschland gezeigt wurden. "Evidence" nennt er seine Ausstellung, nach jenem Wort, welches uns aus amerikanischen Krimiserien bekannt ist: der Beweis, möglichst gerichtsfest. Es ist eine politische Ausstellung, die Ai Weiwei für Berlin in seinem einfachen und schönen Studio am dörflichen Stadtrand von Peking entwarf.

Ai Weiwei ist auch in China ein bekannter Künstler. Chinesische Regierungspropaganda versuchte in den letzten Jahren, ihn aus dem öffentlichen Bewusstsein zu entfernen. Er darf in keinem Museum Chinas ausstellen. Flugs machte Ai Weiwei das Internet zu seiner Dauerausstellung: hervorragend seine mittlerweile verbotenen Blogs wie auch sein aktueller Auftritt auf Instagram. Zwar kann er in seinem Studio arbeiten, doch vor seinem Tor sind ein Dutzend Überwachungskameras angebracht. Ironisch kommentiert er das, indem er an diesen rote Laternen anbrachte und sie in Marmor nachbildete (Marble Surveillance Cameras, 2010). Das Handeln der Staatsmacht wird Teil seiner Konzeptkunst. Zwar darf er in China reisen, doch jeder seiner Schritte wird von Undercoveragenten überwacht. Seinen Paß hat man ihm entzogen, ins Ausland darf er nicht reisen.

Unter den Werken und Installationen, die im Martin-Gropius-Bau zu sehen sein werden, findet sich die goldene Kopie jener Zodiac-Skulpturen (Golden Zodiac, 2011), die einst von chinesischen Handwerkern in Bronze gegossen und von den Europäern Castiglione und Benoist entworfen waren (um 1750). Sie waren Teil einer Art Sonnen- und Wasseruhr und befanden sich in einem vom Kaiser in Auftrag gegebenen Gartenabschnitt voller Gebäude im europäischen Stil. 1860, nach dem Ende des Zweiten Opiumkrieges wurde der gesamte Garten von beutegierigen Engländern und Franzosen, die Peking erobert hatten, um ihren Opiumhandel in China durchzusetzen, geplündert und in Brand gesteckt. Einige der bronzenen Zodiac-Figuren gelangten damals nach Europa und hielten, als sie 2008 auf einer Auktion der Kunstsammlung von Yves Saint-Laurent in Paris auftauchten, die chinesische Welt in Atem. Ai Weiwei bestreitet, dass diese Bronzefiguren wie die Regierung behauptet, nationale Schätze Chinas seien, vielmehr sieht er sie als globale Schätze.

Wenn Ai Weiwei für die Ausstellung im Gropiusbau die umstrittenen pazifischen Diaoyü-Inseln (Diaoyu Islands, 2013) in Marmor, gebrochen in einem Steinbruch nahe Peking, nach bilden lässt – aus eben jenem Marmor, den die Kaiser von China einst für die Verbotene Stadt und die heutigen Machthaber für das Mao-Mausoleum nutzten, dann will er einen heute die Welt bedrohenden Konflikt der globalisierten Welt in künstlerische Form giessen. Es sind diese raschen Umsetzungen aktueller politischer Ereignisse und Fragen in Kunst, welche einige der wichtigsten Installationen des Künstlers kennzeichnen. So die verdrehten Armierstähle, welche an das schreckliche Erdbeben in Sichuan (Forge, 2008-2012; Forge bed, 2008-2012) und seine 80.000 Toten erinnert, und damit an Misswirtschaft und Korruption. Ähnlich sein großes Werk "1800 Milchpulverdosen", das er erstmals 2013 in Hongkong zeigte – ein Kommentar zu jenem weltbekannten Skandal, durch den Kinder in China wegen nachlässiger Kontrollen durch verseuchtes Milchpulver vergiftet wurden.

Oft sind es auch antike chinesische Materialien, die Ai Weiwei einsetzt. Er spricht gelegentlich davon, dass er die Affekte des Betrachter durch kontradiktorische Elemente hervorlocken will. Etwa wenn er alte Keramikgefäße der Han-Zeit (202 BC – 220 AC) in Autolack taucht, in Farben wie sie bei deutschen Luxusautos in Peking derzeit sehr beliebt sind (Han Dynasty Vases with Auto Paint, 2013). Mit Serialismus, den es schon in alten buddhistischen Tempeln gibt, wie mit Minimalismus, der gedanklich bereits in der Song-Zeit (960-1126) sichtbar ist, geht er spielerisch um, transferiert die ihm geläufigen Etyme chinesischer Kunst in die heutige "Universalsprache" global agierender Konzeptkunst. 2008 wurde Ai Weiwei von der Stadtregierung von Shanghai eingeladen, ein sehr großes Studio zu errichten. Doch als es fertig war, ließ die Regierung es – willkürlich - in nur einem Tag abreißen. Weil der Künstler es gewagt hatte, die Regierung zu kritisieren. Ai Weiwei aber kreierte aus den Resten seines Studios ein Kunstwerk: "Souvenirs from Shanghai" (2012), bestehend aus dem Schutt des Studios.

Im großen Lichthof im Gropiusbau montiert der Künstler 6.000 einfache hölzerne Stühle (Stools, 2014), wie sie auf dem Land seit der Ming-Zeit (1368-1644), seit hunderten von Jahren also, Verwendung finden. Ein eindrucksvoll ästhetisches, pixelartiges Werk entsteht. Diese Stühle, so Ai Weiwei, seien Ausdruck einer Jahrhundert alten Ästhetik des ländlichen China. Er führt mit uns im Westen ein Gespräch über China. Seine Konzeptkunst war (und ist), als er nach seine Rückkehr aus New York 1993 damit begann, revolutionär für China, ein Land, das den Künstlern bis dahin nur bestimme Ausdrucksformen gestattete. Wer Formen kontrolliert, der kontrolliert auch Inhalte. Ai Weiwei widersteht der Kontrolle, er führt auf seine Weise einen Diskurs über freies Reden und Schreiben. Ai’s große Vorbilder sind Marcel Duchamp, Andy Warhol, wie auch Giorgio Morandi.

Aber Ai sieht sich auch in der Tradition des Chan (Zen)-Philosophen Hui Neng (638-713). Ai sieht in ihm den radikalen Verfechter des ungebundenen Ausdrucks, jemanden der sich gegen die konfuzianisch-buddhistische Orthodoxie seiner Zeit auflehnte. Noch in der Kulturevolution (um 1969) zerstörten die Roten Garden seinen Tempel im Süden Chinas, wo er noch heute (wieder) verehrt wird.

Ai Weiwei – Evidence
3. April bis 13. Juli 2014