67. Berlinale: Die Solidarität der Schwachen

Wie erwartet sorgte Aki Kaurismäki mit "The Other Side of Hope" für einen Höhepunkt im Wettbewerb der Berlinale. Mit einem Genremix zu unterhalten verstand dagegen der Japaner Sabu mit "Mr. Long", während sich an Thomas Arslans minimalistischer Vater-Sohn-Geschichte "Helle Nächte" die Geister scheiden.

Mit "The Other Side of Hope" setzt Aki Kaurismäki seine vor fünf Jahren mit "Le Havre" begonnene Hafenstadt-Trilogie fort. Von Frankreich ist der Finne dafür in seine Heimat zurückgekehrt und lässt den syrischen Flüchtling Khaled einem Kohlenfrachter entsteigen. Wie Khaled in diese Situation kam, wird er später vor der Einwanderungsbehörde erzählen.

Parallel zu den Wegen des Flüchtlings folgt Kaurismäki dem finnischen Hemdenverkäufer Wikström, der wortlos seine Frau verlässt, sein Hemdenlager verkauft, beim Pokern noch ein Sümmchen dazu gewinnt und von einem Makler, der auch am eigenen Profit interessiert ist, ein angeblich gut gehenden Restaurant kauft.

Khaled dagegen bemüht sich um Asyl, erzählt direkt in die Kamera von seinem erschütternden Schicksal, erhält aber bald den Bescheid, dass er abgeschoben wird. Bitterkeit versprüht Kaurismäki dabei, wenn der emotionslos verlesene Bescheid, in dem betont wird, dass in Aleppo keine Gefahr drohe, von Fernsehnachrichten, die das Gegenteil zeigen, konterkariert wird.

Früh kreuzen sich zwar die Wege von Khaled und Wikström, doch zusammengeführt werden die Geschichten erst nach rund 40 Minuten, wenn der Restaurantbesitzer den Flüchtling auf seinem Müllplatz, der für Khaled zum Schlafplatz geworden ist, entdeckt. Nur kurz gibt es hier Differenzen, bald entwickelt sich eine sich gegenseitig stützende Gemeinschaft von Restaurantbesitzer, Belegschaft und Flüchtling.

Unverkennbar ein Film von Aki Kaurismäki ist "The Other Side of Hope" nicht nur durch seine lakonische Erzählweise und seine Figuren, sondern auch durch geradezu schon ikonische, auch durch die Farbgestaltung typische Bilder von Männern im Amischlitten bei Nacht oder einem Paar am mit einer einzelnen Blume geschmückten Restauranttisch. Auswanderungsträume nach Mexico City erinnern ebenso an "Ariel" wie der Traum vom eigenen Restaurant an "Wolken ziehen vorüber".

Nicht ganz zum wortkargen und trockenen Erzählstil mag allerdings die - gemessen an Kaurismäki-Standards - Wortlastigkeit in der Schilderung des Flüchtlingselends passen, überladen wirkt der Film auch etwas mit zwei Erzählsträngen, überflüssig ist auch eine klamaukhafte Szene um Sushi als Erfolgsstrategie für das Restaurant und allzu sehr lässt der Meister vielleicht hier auch seiner Begeisterung für Blues und schwermütige finnische Songs, die an jeder Ecke von Straßenmusikanten gespielt werden, freien Lauf.

So mag "The Other Side of Hope" insgesamt Kaurismäkis bester Film sein, etwas zerrissen wirken, doch gering wiegen diese Einwände angesichts der Meisterschaft vieler Szenen, der hinreißenden Figurenzeichnung und der zutiefst humanistischen Haltung. – Der erste klare Bärenfavorit.

Von der Aufnahme eines Fremden in einer kleinen Gemeinschaft erzählt auch der Japaner Sabu in "Mr. Long". Es beginnt als harter und brutaler Gangsterfilm in einer Großstadt Taiwans, in der ein Auftragskiller mit seinem Messer ein halbes Dutzend Männer niedermetzelt. In dieser Tonart scheint es mit einem Auftrag in Japan weiterzugehen.

Als aber der Mordanschlag vereitelt wird, landet der Killer schwer verletzt in einem heruntergekommenen Viertel einer japanischen Kleinstadt. Dort wird er zuerst von einem Jungen verarztet und versorgt und erobert dann durch seine Kochkünste die Herzen der Bewohner des ganzen Viertels. Aus dem Gangsterfilm wird so eine Komödie über die Resozialisierung eines Verbrechers, auch eine zarte Liebesgeschichte entwickelt sich, bis den Killer seine Vergangenheit einholt.

So großartig freilich die Kampfszenen choreographiert sind, so sicher Sabu vom harten Gangsterfilm zur Dramödie und wieder zurück wechselt, so einfach gestrickt, allzu ausladend erzählt und altbekannt wirkt die Handlung doch auch – man denke nur an Jacques Tourneurs "Out of the Past".

Schön ist freilich, wie dieser Film weitgehend ohne Dialog und rein in Bildern erzählt und zeigt, wie sich eine Beziehung entwickeln kann, auch wenn die nur japanisch sprechende Bevölkerung und der nur taiwanesisch sprechend Killer sich nicht unterhalten können.

Ganz auf eine Vater-Sohn-Beziehung fokussiert dagegen Thomas Arslan in "Helle Nächte". Der Tod seines Vaters veranlasst den Bauingenieur Michael mit seinem ihm völlig fremden 14-jährigen Sohn Luis zum Begräbnis nach Norwegen zu fahren. Fünf Jahre hatte er keinen Kontakt zum Verstorbenen, sieht, dass es ihm mit der Beziehung zu seinem Sohn gleich geht, wie mit der des Vaters zu ihm und möchte vergangene Fehler wieder gut machen.

Um seinem Sohn näher zu kommen, bricht er mit ihm nach dem Begräbnis zu einer Reise durch Nordnorwegen auf, doch Luis zeigt sich verschlossen, fühlt sich genervt von den ständigen Fragen des Vaters.

Wie gewohnt psychologisiert Arslan nicht, beschränkt sich auf die präzise Beobachtung der beiden von Georg Friedrich und Tristan Göbel stark gespielten Figuren. Entspannt reiht er Szenen von der Fahrt in die weite Wald- und Berglandschaft und Szenen beim Zelt oder in einer Blockhütte aneinander. Wo freilich sonst bei solchen Filmen die äußere Bewegung mit einer inneren Annäherung der Figuren korrespondiert, bewegt sich hier kaum etwas.

Zu schwer scheinen die Vernachlässigungen der Vergangenheit. Was einmal passiert ist, kann nicht wieder gut gemacht werden. Gleichzeitig zeigt Arslan freilich auch, wie fern sich Vater und Sohn auch aufgrund ihres unterschiedlichen Alters und ihrer damit verbundenen Lebensvorstellungen sind und sich kaum Gemeinsamkeiten für eine Kommunikation ergeben.

Angenehm undramatisch und entschlackt ist dieser Film, doch etwas zu weit getrieben hat es Arslan hier doch mit seinem Minimalismus: Zu wenig passiert einfach, zu wenig entwickelt sich in der Beziehung zwischen Vater und Sohn, als dass die Spannung über 85 Minuten aufrecht gehalten werden könnte.