65. Berlinale: Was lief, was bleibt? - Eine Bilanz

441 Filme in 10 Tagen. Niemand kann über das gesamte Programm einen Überblick gewinnen. Je nach Fokussierung ergibt sich ein anderes Bild – und doch bleibt am Ende die Frage, welchen Eindruck das Festival insgesamt hinterließ.

Aushängeschild der Berlinale ist zweifellos – wie auch bei anderen Filmfestivals – der Wettbewerb. Dieser präsentierte sich überraschend vielfältig, ließ zwar das herausragende Werk vermissen, bot aber Gelegenheit zu Entdeckungen. Trend ließ sich bei diesem Mix aus großen Regisseuren und Newcomern weder formal noch inhaltlich ausmachen, die von Berlinale-Direktor Dieter Kosslick angekündigten "Starken Frauen in Extremsituationen" gab es zwar, drückten aber in früheren Jahren dem Festival schon stärker den Stempel auf.

Die Altmeister wie Terrence Malick und Peter Greenaway spielten ihr altes Spiel, Werner Herzog versuchte mit "Queen of the Desert" wenig erfolgreich an seine große Zeit anzuknüpfen, dafür brachten junge Regisseure frischen Wind in den Wettbewerb.

Andrew Haigh wird sich nach seinem perfekt aufgebauten und wunderbar gespielten zweiten langen Spielfim "45 Years" sicher auch einen Publikumserfolg im Arthouse-Bereich landen und sich damit bei der Finanzierung des dritten Films leichter tun.

Wie schwer es ist, heute kleine Produktionen als unbekannter Regisseur auf die Beine zu stellen, machte der Beginn von Laura Bispuris "Sworn Virgin" bewusst: Endlos lang folgen hier Inserts von coproduzierenden Organisationen und Ländern aufeinander, sodass die Journalisten bei der Pressevorführung schon in Lachen ausbrachen.

Bispuri hat freilich auch für ihr Debüt nicht gerade ein publikumswirksames Thema gewählt. Sie erzählt von der jungen Albanerin Hana, die beschließt das Leben eines Mannes zu führen, ewige Jungfräulichkeit schwört und den Namen Mark annimmt, um so in der patriarchalen Bauerngesellschaft eine gewisse Stellung zu besitzen, mitreden und ein Gewehr tragen zu dürfen, nicht zwangsverheiratet zu werden. 14 Jahre später flieht sie aber aus Albanien nach Mailand zu ihrer Freundin, die schon einst mit ihrem Geliebten geflohen war. Langsam muss nun die von Alba Rohrwacher großartig gespielte Hana wieder zu ihrer eigentlichen Identität und Sexualität zurückfinden.

Geschickt erzählt Bispuri nicht linear, sondern arbeitet die Zeit in Albanien als Rückblenden ein. Hart treffen so in dem sehr feinfühligen und bewegenden Frauendrama archaische Bauernwelt und moderne westliche Gesellschaft, aber auch unruhige, mit Handkamera gefilmte Szenen, die dem Film etwas Rohes verleihen, und ruhige Inszenierung in Mailand aufeinander. Schön wird dabei in dem in kalte Blautöne getauchten grobkörnigen Film auch durchgängig mit dem Motiv des Wassers gespielt, den kalten Bergseen und Flüssen Albaniens das Schwimmbad in Mailand, in dem die Menschen viel Körper zeigen und somit Hanas Neu-Entdeckung ihres Körpers gefördert wird, gegenübergestellt. So darf man hoffen, dass man nach diesem starken Debüt von Bispuri ebenfalls noch Einiges hören wird, wie vom Guatemalteken, der mit "Ixcanul" überzeugte.

Erleben konnte man bei dieser Berlinale bei Jafar Panahis preisgekröntem "Taxi" aber auch wieder einmal, dass man mit geringsten filmischen Mitteln und unter großer Bedrängung starke Filme drehen kann, dass es vielleicht gerade politische und finanzielle Beschränkungen sind, die die Kreativität fördern.

Auch ein filmisches Experiment gab es mit Sebastian Schippers in einer Einstellung gedrehtem "Victoria" zu entdecken. Doch beim Experiment dürfte es hier bleiben, neue filmsprachliche Türen werden hier nicht geöffnet, denn mit einigen Schnitten würde "Victoria" auch nicht viel anders aussehen, nicht anders funktionieren.

Auch Wim Wenders, der mit einem Ehrenbären ausgezeichnet und einer Präsentation seiner wichtigsten Filme geehrt wurde, versucht in "Every Thing Will Be Fine" neue Wege zu gehen, indem er ein intimes Drama in 3D gefilmt hat. Überzeugen konnte er damit jedoch kaum, auch wenn der 69-Jährige erklärte, dass man mit 3D die Seele filmen könne, dürfte diese dennoch keiner der Zuschauer gesehen haben.

Aber auch sonst konnte der in Quebec gedrehte Spielfilm über einen Schriftsteller, der unter Schuldgefühlen leidet, weil er ein Kind überfahren hat und zudem durch diesen Unfall seine Schreibblockade gelöst wurde, nicht wirklich überzeugen. Dass Wenders die Emotionen nicht groß forciert, sondern zurückhaltend inszeniert, mag man ihm ja noch hoch anrechnen, andererseits wirkt "Every Thing Will Be Fine" dadurch und wohl auch durch das emotionslose Spiel ziemlich lahm.

Lief dieser Film angesichts der Verleihung des Ehrenbärens verständlicherweise außer Konkurrenz – die Definition "im Wettbewerb, aber außer Konkurrenz" ist freilich schon an sich absurd – so ist dies bei Bill Condons "Mr Holmes" oder Kenneth Branaghs "Cinderella" nicht ganz nachvollziehbar. Waren diese Filme, die hervorragend gemachtes Unterhaltungskino bieten, Kosslick zu mainstreamig?

Überhaupt fällt auf, dass die Berlinale zunehmend in die Breite geht, immer wieder neue Schienen dazu kommen. Da gibt es neben Wettbewerb, Forum, Panorama, Jugend- und Kinderfilm, nun auch das Kulinarische Kino und schließlich die Berlinale Specials, deren Auswahl auch nicht nachvollziehbar ist.

Da bringt man dann auch die Premiere von "Fifty Shades of Grey" unter, der im Grunde auf einem Festival nichts zu suchen hat, aber auch mit "Die abhandene Welt" die Weltpremiere des neuen Films von Margarethe von Trotta, den man offensichtlich nicht im Wettbewerb haben, aber doch auf der Berlinale zeigen wollte.

Hier fand man auch Platz für "Woman in Gold", in dem Simon Curtis von Maria Altmanns Kampf gegen die Republik Österreich um die Rückgabe von Klimts Gemälde "Adele Bloch Bauer I" erzählt. Das ist nicht frei von Pathos, sowie hollywoodgerecht vereinfacht und verkürzt, aber durchaus routiniert als Kampf von zwei Underdogs, die mit der alten Dame und dem jungen Anwalt zudem noch ein gegensätzliches Duo sind, gegen einen übermächtigen Gegner angelegt. – Dass die österreichische Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer je zu einer Figur in einem doch recht großen amerikanisch-britischen Film werden würde, hätte man sich auch nicht träumen lassen.

Die Entdeckung in dieser Programmschiene war aber wohl Ermanno Olmis "Torneranno i prati – Greenery Will Bloom Again". Der 84-Jährige kehrt damit im Grunde zur Einfachheit und Abgeschlossenheit seines Debüts "Als die Zeit stillstand" (1959) zurück, in dem er von zwei Staudammwärtern erzählte. Im Mittelpunkt des neuen Films steht eine kleine Einheit von Soldaten irgendwo an der Alpenfront im November 1917. Die Handlung beschränkt sich auf eine Nacht, der Stollen oder Unterstand wird nie verlassen.

In fast auf Schwarzweiß reduzierten Bildern, in der nur die Gesichter und später das Artilleriefeuer kurz farbig aufleuchten evoziert Olmi mit äußerstem Realismus schonungslos das Grauen des Krieges und stellt ihm die Schönheit der verschneiten Natur gegenüber. Nur kurz leuchtet hier eine Lärche im Mondlicht golden auf, dann schlägt eine Granate ein und nichts bleibt zurück. – Bilder, die haften bleiben.