65. Berlinale: Trotz Binoche kühler Start

"Starke Frauen in Extremsituationen" hat Berlinale-Direktor Dieter Kosslick als Motto des heurigen Festivals angekündigt. Der Eröffnungsfilm "Nobody Wants the Night", in dem Isabel Coixet Juliette Binoche 1908 auf einen Trip Richtung Nordpol schickt, stimmte schon darauf ein, doch das Publikum begeistern konnte dieser Auftakt nicht.

Das von Kosslick erklärte Motto scheint in einen aktuellen kleinen Trend im Kino zu passen: Bei Kelly Reichardts Western "Meek´s Cutoff" standen Frauen in einer Extremsituation im Mittelpunkt, Tommy Lee Jones schickte in "The Homesman" Hilary Swank durch einen lebensfeindlichen Wilden Westen, Mia Wasikowska durchquerte in "Tracks" den australischen Outback und Reese Witherspoon wanderte in "Wild" durch die Rocky Mountains.

Isabel Coixet ("My Life Without Me") erzählt nun in in "Nobody Wants the Night" von der Forschergattin Josephine Peary (Juliette Binoche), die 1908 mit einem Iren und zwei Inuit ihrem schon zuvor aufgebrochenen Mann Robert Richtung Nordpol gefolgt sein soll. Viel Freiheiten dürfte sich die Katalin freilich genommen haben, erklärt doch das einleitende Insert schon sehr einschränkend "inspiriert von wahren Figuren".

Die Handlung ist eng geführt, setzt auf der kanadischen Ellesmere-Insel ein, wo die kultivierte Amerikanerin Josephine die Warnungen anderer weißer Männer in den Wind schlägt, ihren Willen durchsetzt und mit Hundeschlitten in die Eiswüste aufbricht.

Als klassisches Expeditionsdrama beginnt "Nobody Wants the Night" damit, bietet grossartige Landschaftstotalen der weiten Schneelandschaft und wartet mit den bekannten Gefahren wie Lawinen und Einbruch auf einer Eisscholle auf. Prächtig ist das fotografiert, arbeitet überzeugend mit einer auf das Weiß des Schnees und die dunklen Töne der Kleidung und der Felsen reduzierten Farbpalette. Haften bleibt zweifellos das Bild der in ihrem langen Kleid, ihrem modischem Pelschal und -kappe in der rauen Eiswüste herrlich deplatzierten Josephine.

Die äußere Bewegung kommt aber mit der Ankunft an einem Versorgungspunkt zum Stillstand. Während sich Josephines Begleiter, bevor der Winter mit seinen Stürmen losbricht, auf den Rückweg machen, beschliesst sie hier mit der jungen Inuit Alaka auf die Rückkehr ihres Mann zu warten. Das Abenteuerdrama geht damit über in die Beziehungsgeschichte zweier Frauen, die durch die Bedrohung durch die Natur nicht nur persönliche Rivalitäten, sondern auch die kulturelle Differenz überwinden, und sich näher kommen.

So spannend die Geschichte an sich ist, so wenig warm wird man mit diesem Film, der über weite Strecken ein Zwei-Personen-Kammerspiel in weiter Landschaft ist. Überzeugend arbeitet Coixet zwar nicht nur den Gegensatz von kultivierter US-Dame und der indigenen Bevölkerung heraus, sondern deckt auch plastisch die Anfang des 20. Jahrhunderts verbreitete Vorstellung von der Überlegenheit der Weissen, die glauben, die Indigenen zivilisieren zu müssen, auf.

Dennoch entwickelt "Nobody Wants the Night" nur selten Spannung. – Zu geradlinig und überraschungsarm ist einfach die Erzählweise, zu schematisch angelegt ist die Konfliktsituation und die Charaktere gewinnen zu wenig Konturen, als dass ihr Schicksal wirklich packen könnte. Auch die aufdringliche musikalische Untermalung nervt auf die Dauer und die Gegenüberstellung von männlichem Entdeckergeist, dem eine Absage erteilt wird, und weiblicher Empathie bleibt bloße Behauptung anstatt wirklich erfahrbar zu werden. - Je länger dieses arktische Drama dauert, desto mehr ziehen sich folglich die 118 Minuten.

Trailer zu "Nobody Wants the Night"