65. Berlinale: Sinnsuche und Jugendträume

Mehr noch als "Tree of Life" und "To the Wonder" wird Terrence Malicks "Knight of Cups" die Geister scheiden. Im Gegensatz zu dessen philosophischem Gewaber über die Sinnsuche eines Hollywood-Schauspielers besticht Patricio Guzmans "Der Perlmuttknopf" durch akribische Recherche zur chilenischen Geschichte. In die Träume von Jugendlichen in der Zeit unmittelbar nach der deutschen Wende taucht dagegen Andreas Dresens in "Als wir träumten" ein.

Ein neuer Film von Terrence Malick ist immer etwas Besonderes. Entsprechend groß war folglich der Andrang bei der Pressevorführung im Berlinale Palast bei "Knight of Cups". Doch zwei Stunden später verließ mancher den Saal mit dem Eindruck vor allem Bruchstücke von "Tree of Life" in neuer Verpackung gesehen zu haben.

Im Gegensatz zu diesem grandiosen Film spannt der Texaner zwar nicht den Bogen vom Anfang bis zum Ende der Welt, sondern beschränkt sich auf die Sinnsuche eines ausgebrannten und zerrissenen Hollywoodschauspielers (Christian Bale). Abgesehen von der Filmmetropole mit ihrem Partyleben als Hintergrund, das Malick die Gelegenheit bietet, viele leichtbekleidete junge Frauen und schicke Appartements mit Pools ins Bild zu rücken, kreist "Knight of Cups" um die bekannten Themen.

Wie Sean Penn in "Tree of Life" streift Bale bei seiner Sinnsuche an der menschenleeren Pazifikküste entlang, wie in dem Vorgängerfilm wird kalte Großstadtarchitektur majestätitschen Wüstenbildern gegenüber gestellt. Auch hier gibt es eine übermächtige Vaterfigur und eine Bruderbeziehung und die Szenen einer idyllischen Kindheit sehen fast so aus, als ob hier bei "Tree of Life" nicht verwendetes Material nun doch noch verwertet wurde.

Großartig ist das zweifellos von Emmanuel Lubezkis gleitender und kreisender Kamera gefilmt, aber der assoziative Bilderfluss und die fragmentarischen Szenen, die durch nicht schlüssige Kapitelüberschriften gegliedert sind, fügen sich nicht zu einem überzeugenden Ganzen und gewinnen auch durch das durchgängige Voice-over, in dem unglaublich redundant mit Kalenderspruch-Weisheiten über Lebenssinn, Liebe, Freiheit und Leid philosophiert wird, nicht mehr Tiefe.

Während sich "Knight of Cups" so im Kreis dreht, führen die Überlegungen, die Patrizio Guzman in seinem Dokumentarfilm "Der Perlmuttknopf" anstellt, durch konsequenten Aufbau immer weiter. Mit einem in der Wüste Atacama gefundenen Quarzblock, in dem ein Wassertropfen eingeschlossen ist, mag sein Dokumentarfilm beginnen, am Ende steht aber wieder die Auseinandersetzung mit der Barbarei der Pinochet-Diktatur.

So weit der Weg dorthin auch ist, so bestechend fügt sich in diesem auch herausragend fotografierten Film doch ein Detail ans andere. Mit der Atacama-Wüste als Ausgangspunkt knüpft Guzman an seinen letzten Film "Nostalghia de la luz" an, um dann über den Wassertropfen vom trockensten Ort der Erde zum regen- und wasserreichen Patagonien überzuleiten.

Von der Frage, wieso ein Land wie Chile trotz 4200 Kilometer Meeresküste keine Seefahrernation ist, taucht der im Exil lebende Chilene ein in die indigenen Völker Patagoniens, die sehr wohl mit dem Meer vertraut waren, spürt der Zerstörung ihrer Kultur durch spanische Eroberer, Viehzüchter und katholische Missionare nach, um in einem weiteren Schritt an den Terror des Pinochet-Regimes, das 1200 bis 1400 ermordete politische Häftlinge von Helikoptern ins Meer werfen ließ, zu erinnern.

Akribibisch forscht Guzmann nach, lässt die Abwurf einer Leiche ins Meer nachstellen und findet als letztes Überbleibsel, dass Menschen versenkt wurden, einen Knopf – ein Knopf, der auch der Preis für einen Indigenen war, der vom britischen Kapitän Fitz Roy, der mit der Kartographierung Patagoniens erst die Erschließung dieser Region und damit die Zerstörung der indigenen Kultur ermöglichte, nach England zur Zivilisierung gebracht wurde, damit aber seine Identität verlor und nach Rückkehr in seine Heimat diese nie mehr fand.

Von verlorenen Träumen erzählt auch Andreas Dresen in seiner Verfilmung von Clemens Meyers Roman "Als wir träumten". Im Leipzig der frühen 90er Jahre sucht der 17-jährige Dani seinen drogensüchtigen Freund Mark, findet ihn im Dunkel eines verfallenen Kinos. Und wie er Mark hier an einstige Filmerlebnisse erinnert, geht der Projektor scheinbar wieder an und die Erinnerungen Danis an die gemeinsamen vergangenen fünf Jahre setzen ein.

Mit leinwandfüllenden Kapitelüberschriften wie "Seid bereit!", "Konkurrenz" oder "Straßenköter" gliedert Dresen die Erlebnisse von Dani, Mark, Rico, Paul und Pitbull. Zwischendurch blickt er mehrmals in ihre Grundschulzeit in der DDR mit Aufsagen von sozialistischen Gedichten und rotem Halstuch. Die Bilder aus diesem streng reglementierten Leben machen den Bruch, den der Fall der Mauer brachte und die Träume von Freiheit, die damit aufkamen, besonders deutlich.

Nach der Enge der DDR-Zeit gab es nun die Lust auf ein ungebremstes Leben, auf ausgelassene Touren durch die Stadt und für kurze Zeit konnten die Freunde sogar in einer verfallenen Fabriksanlage sogar den Traum einer eigenen Disco verwirklichen. Aber es gab auch heftige Auseinandersetzungen mit Neonazis.

Keinen großen Erzählbogen mag Dresen durch die Kapitelgliederung entwickeln, erweckt aber durch den mitreißenden und durch die Musik unterstützten Schwung der Inszenierung, die ungemein natürlichen Jungschauspieler und das atmosphärisch dicht eingefangene Milieu diese jugendlichen Träume zum Leben, spart aber auch deren Scheitern nicht aus.

Denn nichts wird aus Ricos Boxerkarriere, ein Traum bleibt für Dani seine große Liebe Sternchen, die tief fällt, und Mark schließlich endet in den Drogen. – Das ist in gewissem Sinne ein deutsches Gegenstück zu Olivier Assayas Post-68er-Film "Something in the Air", spart aber zumindest vordergründig die gesellschaftliche und politische Komponente aus, und erwartet vom Zuschauer, dass er diese selbst mitdenkt.