63. Berlinale: Gefangene Künstler

Jafar Panahi wurde im Dezember 2010 im Iran zu sechs Jahren Hausarrest und 20 Jahren Berufsverbot verurteilt, dennoch drehte er heimlich zusammen mit Kamboziya Partovi "Pardé – Closed Curtain". Die Bildhauerin Camille Claudel wiederum verbrachte rund 30 Jahre ihres Lebens in einer psychiatrischen Anstalt. Bruno Dumont konzentriert sich in "Camille Claudel, 1915" auf wenige Tage in ihrem Leben.

Schon 2011 hat Jafar Panahi trotz Arbeitsverbots "This is not a Film" heimlich gedreht und ihn außer Landes schmuggeln lassen. Aus dem Iran ausreisen darf Panahi nicht, auch die Intervention der deutschen Bundesregierung hatte keinen Erfolg. Ohne den Regisseur fand so die Premiere seines neuen Films "Pardé - Closed Curtain" statt. Vom Arbeiten aber kann man ihn nicht völlig abhalten, denn arbeiten ist für ihn leben, wie er in seinem auf engstem Raum gedrehten selbstreflexiven Film deutlich macht.

In einer statischen Einstellung blickt die Kamera durch ein weites, aber vergittertes Fenster aufs Meer. Man hört das Meeresrauschen und Vogelgezwitscher, sieht zwei Männer aus einem Auto aussteigen und Koffer ausladen. Der eine nähert sich über die Auffahrt dem Haus. Mehrere Minuten lang ist diese wort- und musiklose erste Einstellung von "Pardé – Closed Curtain" und vermittelt gleichermaßen das Gefühl des Eingesperrtsein wie im Blick aufs Meer die Sehnsucht nach Freiheit.

Nie wird der Film das Haus verlassen. Der Mann, der hier Zuflucht sucht, wird sogar bald noch die Fenster mit schwarzen Tüchern lichtdicht abdecken und erst im Innern seinen Hund aus der Reisetasche befreien. Den Grund dafür erfährt man über eine Fernsehsendung, in der vom Verbot und der Tötung von Hunden berichtet wird, da sie nach islamischer Lehre unrein seien.

Der Mann schreibt an einem Drehbuch, doch später wird die Frage aufgeworfen, wozu ein Drehbuch gut sei, wenn es doch nie verfilmt werde. Gestört wird der Mann von einem jüngeren Paar, angeblich Bruder und Schwester, die angeblich auf der Flucht vor der Polizei sind. Bald hört man den Lärm von Hubschraubern und Polizisten klopfen an die Tür. In ständiger Angst lebt der Mann, hat sich kahl rasiert, um nicht erkannt zu werden, und im Obergeschoß einen Kasten als letzte Zufluchtsstätte gebaut.

Als Imagination des Regisseurs Jafar Panahi entpuppen sich diese Szenen, wenn der Regisseur selbst auftritt, die abgedeckten Plakate seiner Filme freilegt, die junge Frau zur Rede stellt und von ihr erfährt, dass sie schon viele Berichte über ihn geschrieben habe und offensichtlich ein Spitzel des Regimes ist.

An die Stelle der inszenierten Aufarbeitung seines Schicksals mit dem Mann als seinem Alter Ego tritt nun die ungefilterte Schilderung seiner Situation. Fiktion mischt sich so mit Realität. Ohne Arbeit könne er nicht leben, erklärt Panahi einem Nachbarn, in Gedanken sieht er sich ins Meer steigen – und kehrt im rückwärtslaufenden Film doch wieder zurück.

Dass auch der Kontakt mit Panahi gefährlich ist, zeigt sich an zwei Handwerkern: Während der eine sich mit dem berühmten Regisseur fotografieren lassen will, ist das dem anderen zu gefährlich.

Nicht leicht zugänglich ist "Pardé" durch seine vielen Ebenen, vermittelt aber eindringlich und erschütternd die Verzweiflung, die Panahi zunehmend erfasst.

Die Verzweiflung einer Künstlerin steht auch im Zentrum von Bruno Dumonts "Camille Claudel, 1915". Der Franzose zeichnet nicht das Leben der Bildhauerin nach, informiert nur in wenigen Inserts über ihren Werdegang, ihre 15-jährige Beziehung zu Auguste Rodin und beschränkt sich dann auf wenige Tage im Jahre 1915.

In einem Heim für geistig Behinderte im südfranzösischen Montdevergues, in das sie von ihrer Familie 1913 eingeliefert wurde, wartet sie auf den Besuch ihres Bruders Paul Claudel.

Dumont erklärt nichts, beschränkt sich darauf das Leiden und die Verzweiflung Camilles zu zeigen, die glaubt vergiftet zu werden, sich von ihrem früheren Liebhaber Rodin verfolgt und um ihren Ruhm betrogen fühlt. Deshalb darf sie ihr Essen selbst kochen, während die anderen Insassen, die von geistig Behinderten gespielt werden, sie auslachen oder die Zunge raustrecken.

Kein Dialog kann es zwischen ihr und den anderen Insassen geben, auch die liebevolle Fürsorge der Nonnen kann sie nicht aus ihrer Verzweiflung und Einsamkeit befreien. Eindringlich spiegelt sich in der grauen Steinlandschaft, den kahlen Gemäuer des katholischen Asyls, den strengen dunkelblauen Kutten der Nonnen, aber auch im Verzicht auf Filmmusik die Verlorenheit und Einsamkeit des Menschen.

Abrupt bricht der Film, wenn Dumont zur Anreise ihres Bruders wechselt, der ganz im Gegensatz zu Camille streng gläubig ist. Im Gespräch mit einem Priester, beschreibt er, wie er zum Glauben gefunden hat. Doch diesen Glauben leben kann er offensichtlich nicht, denn kein Mitgefühl, keine menschliche Wärme werden in der Begegnung mit seiner Schwester sichtbar.

Ohne jeden Anflug von Glamour, mit großem Mut zur Hässlichkeit spielt Juliette Binoche die Bildhauerin. Ihr Gesicht ist das Zentrum dieses Films, der so karg ist wie die Landschaft, in der er spielt. Doch nie lässt sie in ihr Inneres blicken und offen bleibt, wie ihre psychische Verfassung wirklich ist.

Mit dem Gespräch mit ihrem Bruder, der ebenso sehr in seiner Welt des Glaubens gefangen scheint wie sie in ihrer, endet der Film. Inserts informieren darüber, dass sie weitere 29 Jahre in diesem Asyl verbrachte, 1943 verstarb und von ihrem Bruder bis zu ihrem Tod immer wieder besucht wurde.