37. Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken (18.-24.1. 2016)

27. Januar 2016
Bildteil

Das bedeutendste deutschsprachige Nachwuchsfilmfestival platzt langsam aus allen Nähten. Schon morgens um 10 Uhr bilden sich lange Schlangen vor den drei Festivalkassen und schon kurz danach kann ein Film für den nächsten Tag bereits ausverkauft sein. - Ein Festivalbericht von Norbert Fink.

Man hat die Qual der Wahl aus rund 160 Werken. Im Spielfilm-Wettbewerb gab es 16 Filme, 12 aus Deutschland und je einen aus Österreich, der Schweiz, Luxemburg und den USA. Erfreulich war, dass die Filme der Jungfilmer handwerklich immer perfekter werden, das breite Cinemascope-Format sogar bei TV-Koproduktionen wieder üblich ist und manche es mit Dolby 7.1 aus allen Richtungen krachen lassen.

Der mit 36.000 Euro dotierte Max-Ophüls-Preis ging an den österreichischen Beitrag "Einer von uns" von Stefan Richter: Vor einigen Jahren brachen Jugendliche in einen Supermarkt bei Wels ein, um Alkohol zu stehlen. Die Alarmanlage aktivierte die Polizei, welche einen der Jugendlichen erschoss. Der überforderte Polizist hielt den Schraubenzieher des Jugendlichen für eine Waffe.

Anfangs leicht sperrig, aber in herausragend komponierten Bildern gefilmt, wird der Film bis zum tragischen Ende immer spannender. Die prallvollen Regale des Supermarktes kontrastieren mit der inneren Leere der Jugendlichen.

Der Preis der Saarländischen Ministerpräsidentin ging an "Fado" von Jonas Rothlaender: Extrem emotionalisierend ist dieser in Lissabon stimmig gedrehte Film. Die erste Einstellung zeigt eine Mega-Welle, die alles hinweg zu reißen droht, auch die Angst vor einem Erdbeben ist allgegenwärtig.

Der Junge Arzt Fabian hat in Berlin in einem Krankenhaus vergebens um das Leben einer Frau gekämpft, die ihn an seine Freundin erinnert. Er quittiert den Dienst und zieht nach Lissabon, wo er seine Exfreundin aufstöbert, die als Architektin einen Hotelbau begleitet. Er nimmt einen unbezahlten Job bei einer Notärzteorganisation an. Rasende Eifersucht kommt hoch, als er sie mit einem ihrer Kollegen schmusen sieht. Doch seine Hartnäckigkeit imponiert ihr und sie finden wieder zusammen.

Doch eben diese pathologische Eifersucht vergiftet die Beziehung. Als sie mit ihm wieder Schluss macht und gleich einen neuen Liebhaber findet, rastet er aus und das dramatische Ende ist unausweichlich. Ein packendes Melodram zum Thema Eifersucht und der "Angst der Männer um Gefühle, die sie eigentlich nicht haben möchten". Kameramäßig wurden die extremen Gefühlszustände herausragend umgesetzt.

Sowohl der ökumenische Filmpreis als auch jener der deutsch-französischen Jugendjury ging an den Psycho-Horror-Fantasyfilm "Der Nachtmahr" von Akiz: Ein innovativer Film aus der Berliner Techno-Szene mit binauralen Effekten, welche den Zuschauer durch laute Techno- Musik in Trance versetzen sollen. Das "ET"-ähnliche Wesen, das die Protagonistin besucht, sieht zuerst nur die Jugendliche alleine, weswegen sie zum Psychiater muss. Doch nicht das unbekannte Wesen wird zur Gefahr für sie, sondern ihre unmittelbare Umwelt.

Akiz ist eigentlich ein Objektkünstler und entwickelte zunehmend aus einer Figur ein bewegliches Modell. Die mit dem harmlosen Monster verbundene Symbolik – Angst vor dem Fremden – überzeugte die religiös motivierte Jury ebenso wie die Jungen, welche am Technosound Spaß hatten.

Der Preis für einen gesellschaftlich relevanten Film ging an den von zehn Regisseuren gedrehten Schweizer Beitrag "Heimatland". Im Zentrum steht dabei eine riesige Wolke, die sich über der Eidgenossenschaft ausbreitet und Angst auslöst. Ein Versicherungsunternehmen ruft den Vorstand zur Krisensitzung zusammen, Supermärkte werden leergekauft, immer wieder fällt der Strom aus, kein Wasser kommt mehr aus der Leitung, die Bunker aus dem 2. Weltkrieg werden wieder aktiviert.

Religiöse Eiferer freuen sich auf den Weltuntergang und die baldige Ankunft Christi, rechte Fanatiker formieren Bürgerwehren, weil Ausländer nach dem Sturm, das was noch übrig bleibt, wohl plündern werden. Der Notstand wird ausgerufen, die Leute in ihre Schutzräume gerufen.

Millionen versuchen das Land zu verlassen, denn die Wolke scheint an der Grenze halt zu machen, die EU schließt die Grenzen für die Schweizer. Jean Ziegler sieht das Chaos als gerechte Strafe für das Horten von Geld der Potentaten aus der Dritten Welt. In den Bunkern beginnen einige durchzudrehen, die Bürgerwehr erschießt Unschuldige. Letztlich richten die Maßnahmen weit mehr Schaden an, als der Sturm selbst.

Der Film ist ein sogenannter Omnibusfilm: Zehn Schweizer Regisseurinnen und Regisseure machten gemeinsam diesen Film, es ist jedoch kein Film mit abgegrenzten Episoden. Sie halten geheim, wer was gedreht hat. Anlass war vor einigen Jahren die islamophobe Minarett-Initiative. Jetzt ist die düstere Prophezeiung im Prinzip wahr geworden, wenngleich die Gewitterwolke natürlich symbolisch zu sehen ist.

Der Publikumspreis ging an "SCHROTTEN!" von Max Zähle: Das Recycling, wie man geschönt das Müllsammeln nennt, ist ein harter Konkurrenzkampf. Vor allem auf Kupfer hat man es abgesehen. Mirko, der sich mit einem Schneeballsystem in der Versicherungsbranche verzockt hat, braucht Geld. Der Tod seines Vaters bringt ihm zwar auf dem Papier ein schönes Grundstück aber auch einen verlotterten und verschuldeten Schrottplatz als Erbe, doch der Konkurrent Kercher spitzt auch darauf.

Seine Brüder, die ihm das Verlassen des Talhammer-Clans nie verziehen haben planen den Raub eines ganzen Eisenbahnwaggons voll Kupfer ihres Konkurrenten und scheuen dazu keine Mühe, ein Stück Gleis im Wald zu verlegen, um dort den abgekuppelten Waggon zu verstecken und umzuladen. Doch der hat Wind davon bekommen und ist ihnen auf der Lauer.

Immerhin gelingt dank Mirkos Fachkenntnissen ihnen technisch der Coup, dennoch verlieren sie den traditionellen Schrottplatz. Eine leichte, ziemlich harmlose Komödie mit märchenhaftem Charakter und sanftem Humor.

Der Preis für die beste weibliche Nachwuchsdarstellerin ging an Odine Johne für ihre Leistung in Johannes Schmids "Agnes": In der ersten Szene sehen wir eine junge Frau auf einem Schneefeld, sie zieht sich aus und geht weiter in die Kälte. Der Schriftsteller Walter lernt die eigenwillige Physikerin Agnes kennen und es funkt zwischen den beiden.

Sie schlägt ihm vor, einen Roman über ihre Beziehung zu schreiben. So entwickeln sich der Soll-Zustand (Roman) und der Ist-Zustand zunehmend auseinander. Als Agnes schwanger wird, verliert sie bei einem Unfall das Kind, im Roman lebt es freilich gesund weiter.

Der Film erlaubt es, beides darzustellen. Doch Walter hat noch eine alte und einflussreiche Freundin, die er bei einer Silvesterparty besucht, während Agnes krank ist. Als er wieder nach Hause kommt, ist Agnes nicht mehr da. Suchte sie den schönen Freitod durch Erfrieren?

Ein spannender und gut nachvollziehbarer Liebesfilm, der zwischen einem in einem Roman festgehaltenen Soll-Zustand und der weniger rosigen Realität hin- und her pendelt.

Leider haben die von mir gesichteten Dokumentarfilme keine Preise erhalten. Wehmütig auf den auch in Indien aussterbenden Beruf des Filmplakatmalers schauten Vater und Sohn Florian Heinzen-Zion und Georg Heinzen in "Original Copy". Christian Hornung zeigte das Bürgerliche an den ganz und gar Unbürgerlichen von St.Pauli in "Manche hatten Krokodile", wenn sie brav einen Sparverein führen und auch etwas soziale Verantwortung übernehmen.

Auch die Kurzfilme waren thematisch aktuell, etwa wenn in "Mayday Relay" Vater und Tochter auf einem Segelboot durch das Mittelmeer kreuzen und einen Notruf ertrinkender Flüchtlinge auffangen, ihnen aber klar wird, dass sie zu zweit Hunderten nicht helfen können. (Norbert Fink)