Von Herz zu Herz

27. November 2013 Rosemarie Schmitt
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Da saß ich nun, pflegte innig meine November-Depression und hörte dazu Gershwin. Dann war sie plötzlich dahin, meine kultivierte, alljährliche Herbst-Krise. Mein geschmeidiges Seelentief perlte von mir ab mit jedem Takt. Es war nicht alleine ein Verdienst von George Gershwin, denn ich hörte seine Kompositionen bereits zuvor in so manchen Herbst. Es ist Corinna Simon, die seine Musik zu der ihren macht, und sie mir schenkt.

Mit dem Album "Gershwin – Piano Works" (MDG 604 1795-2) erfüllte die Pianistin sich einen lang gehegten Wunsch. Corinna Simon liebt Gershwins Musik seit ihrer Kindheit, das hört und fühlt man.

George Gershwin war etwa 12 und ein recht sportlicher, hyperaktiver New Yorker Straßenjunge, als seine Familie sich einen Therapeuten ins Haus holte, ein Klavier. "Der Klavierunterricht machte aus einem schlechten einen guten Jungen", soll Gershwin später gesagt haben. Wer, wenn nicht Corinna Simon, weiß, wie er das meinte, denn sie ist nicht nur eine ausgezeichnete Pianistin, sondern auch eine der erfolgreichsten Klavierpädagoginnen Deutschlands. In Berlin, wo sie auch geboren ist, unterrichtet sie eine Klavierklasse für hochbegabte Jugendliche.

Bereits mit 13 begann Gershwin sein Klavierstudium bei Charles Hambitzer, und seine besondere Begabung lag nicht, wie man aufgrund seiner zahlreichen Kompositionen vermuten könnte, im musiktheoretischen Bereich, er konnte nicht einmal gut Noten lesen. Die Musik Gershwins scheint mir viel mehr eine Herzenssache zu sein, voller Emotionen, Tiefe, Dynamik, Ausgelassenheit, Experimentierfreudigkeit, Jugendlichkeit. Es sind Kompositionen eines großen Jungen, mit einer schier überschäumenden und ansteckenden Lebensfreude, indes reif, weise, sensibel und vollkommen. Doch wer Gershwin vom Blatt spielt, wird niemals die Herzen der Zuhörer erreichen.

Es war 1936, Gershwin war 37 Jahre jung, als er in Hollywood die Bekanntschaft mit Arnold Schönberg machte. Inzwischen war Gershwin zwar nicht mehr hyperaktiv, doch immer noch sportlich, und gemeinsam mit Schönberg veranstaltete er Tennismatches in Los Angeles. Nur ein Jahr später geschah während eines Konzertes mit dem Los Angeles Philharmonic Orchestra das Unfassbare: das Gedächtnis ließ Gershwin im Stich. Der Grund war ein Tumor. Nur 5 Monate später, am 11. Juli 1937, starb der Komponist nach einer Gehirnoperation. Er wurde nur 38 Jahre.

Es sind im Besonderen Titel des im Jahre 1932 erschienenen American Songbooks, die für mich am treffendsten Corinna Simons Interpretation der Gershwin-Kompositionen beschreiben: "Nobody but you", "s’Wonderfull", "I Got Rhythm", "I’ll build a Stairway to Paradise"... und "Do it again"!! Corinna Simon spielt "ihren" Gershwin nicht vom Blatt, sondern von Herz zu Herz!

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt